Unionsrechtliche Staatshaftung: EuGH verhandelt die Rechtssache Romano Pisciotti

*EuGH C-191/15: Mündliche Verhandlung am 12. Juli 2017 vor der Großen Kammer *

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Rolf Karpenstein

Der Gerichtshof wird am 12. Juli in der Großen Kammer unter dem Vorsitz des Gerichtspräsidenten Lenaerts den Staatshaftungsfall des früheren Top-Managers Romano Pisciotti verhandeln.

Pisciotti war bei der Inanspruchnahme seines unionsrechtlich garantierten Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr (passive Dienstleistungsfreiheit) beim Umsteigen am Frankfurter Flughafen aufgrund eines internationalen Haftbefehls der USA (Red Notice) verhaftet worden (https://www.isa-guide.de/isa-law/articles/148201.html).

Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft und der Bundesregierung: Beteiligung an kartellwidrigen Preisabsprachen. Ein weiterer Topmanager, der deutsche Uwe B., sah sich dem gleichen Vorwurf durch die USA ausgeliefert. Der internationale Haftbefehl der USA gegen Uwe B wurde von deutschen Behörden jedoch nicht befolgt. Soweit ging die Hörigkeit gegenüber den USA auch damals nicht. Uwe B. berief sich auf Art. 16 GG, demnach „Deutsche“ nicht ausgeliefert werden dürfen.

Pisciotti erhielt weder vor dem OLG Frankfurt noch vor dem Bundesverfassungsgericht effektiven Rechtsschutz. Das Recht aus Art. 56 AEUV und das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot (Art. 18 AEUV) sowie die Freizügigkeit (Art. 21 AEUV) seien nicht verletzt, hieß es aus Frankfurt und aus Karlsruhe. Der Bereich der Auslieferung sei gänzlich vom Unionsrecht ausgenommen.

Die Haltung des OLG Frankfurt und des Bundesverfassungsgerichts waren falsch. Diese Haltung der jeweils letzten – und damit vorlagepflichtigen – Instanzen war auch objektiv willkürlich. Denn schon die Tatsache, dass zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten ein Auslieferungsabkommen besteht (Beschluss 2009/820/GASP) verdeutlicht, dass die These einer Bereichsausnahme bemerkenswert abwegig ist.

Pisciotti strengte gegen den Bund einen Staatshaftungsprozess an. In diesem Prozess habe ich Antrag auf einstweilige Anordnung gegenüber dem Bund vor dem Landgericht Berlin gestellt, dem Bund die Bewilligung der Auslieferung zu untersagen. Das Landgericht Berlin verneinte – obwohl insoweit letzte Instanz und damit vorlagepflichtig, ohne Anrufung des EuGH – seine sachliche Zuständigkeit für diesen Antrag und verwies ihn an das – voreingenommene – OLG Frankfurt. Das OLG Frankfurt verweigerte reflexartig effektiven Rechtsschutz und die Bundesregierung bewilligte die Auslieferung.

Pisciotti plädierte zur Vermeidung eines ewig langen Prozesses mit Gefängnisaufenthalt auf schuldig und saß noch ein Jahr in den USA in Haft, was unangenehm ist.

Das Landgericht Berlin erkannte, dass die These des OLG Frankfurt und des Bundesverfassungsgerichts, das EU-Recht klammere den Bereich der Auslieferung vollständig aus, unhaltbar ist und rief mit Beschluss vom 18.3.2016 den Gerichtshof zur Auslegung des EU-Rechts im Zusammenhang mit der unionsrechtlichen Staatshaftung an (Beschluss des LG Berlin).

Was dieser Fall mit dem Bereich des Glücksspiels und der Sportwetten zu tun hat, liegt auf der Hand. Die unionsrechtliche Staatshaftung wird nach wie vor sowohl von den Behörden und den Gerichten als auch von den durch unionsrechtswidrige Behinderungen betroffenen Wirtschaftsteilnehmern stiefmütterlich behandelt. Grundlos. Denn die unionsrechtliche Staatshaftung entspringt dem Gedanken der Effektivität und der vollen Wirksamkeit der unionsrechtlichen Grundfreiheiten und des Sekundärrechts, welches dem Einzelnen Rechte verleiht. Der Bürger sollte daher mobilisiert werden, um für die Durchsetzung des EU-Rechts zu sorgen, genauso wie es Romano Pisciotti trotz beachtlicher Rückschläge getan hat und weiter tun wird.

Die mündliche Verhandlung ist öffentlich und Luxemburg sowie eine Sitzung der Großen Kammer sind immer eine Reise wert.

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