Oberlandesgericht Celle untersagt RTL Sportwettenwerbung

Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Arendts Rechtsanwälte
Perlacher Str. 68
D - 82031 Grünwald (bei München)
Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat mit Urteil vom 1. Februar 2007 (13 U 195/06) dem Antrag des niedersächsischen Staatsunternehmens Toto-Lotto Niedersachsen GmbH (LOTTO Niedersachsen) auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Fernsehsender RTL stattgegeben und damit das den Antrag ablehnende erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Hannover abgeändert. Das OLG entschied, dass es der Fernsehsender und dessen Geschäftsführerin zu unterlassen haben, auf dem Gebiet der elf alten Bundesländer Sportwetten zu bewerben, die nicht durch dasjenige Bundesland behördlich erlaubt seien, auf dessen Gebiet die Sportwetten beworben werden.

RTL hatte während der Fußballweltmeisterschaft 2006 Werbespots eines Internet-Sportwettenangebots gesendet. Der Inhaber der beworbenen Internetdomain war ein in Österreich staatlich zugelassenes Buchmacherunternehmen. Dieses besaß die behördliche Genehmigung eines österreichischen Bundeslands, gewerbsmäßig Wetten abschließen zu dürfen.

Das OLG begründete sein Urteil mit der Anwendbarkeit des § 284 Strafgesetzbuch (StGB). Das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG) verbiete Wettbewerbshandlungen, die gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen, die ihrerseits bestimmt sind, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Eine solche Vorschrift sei § 284 StGB, da auch zum Schutz der Verbraucher Werbung für unerlaubte Glückspiele unter Strafe gestellt werde.

§ 284 StGB ist nach Auffassung des OLG Celle nicht deshalb wettbewerbsrechtlich unbeachtlich, weil das staatliche Wettmonopol nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (2 BvR 2023/06) möglicherweise verfassungswidrig sei. Erst recht sei eine solche Werbung nicht zulässig, wenn der Veranstalter bzw. Vermittler die erforderliche Genehmigung – hier durch die zuständige Behörde des Landes Niedersachsen – gar nicht beantragt habe. Die Frage der Verletzung der Grundrechte sei im Falle der Versagung der Genehmigung im Verwaltungsrechtsweg zu klären. Im vorliegenden Wettbewerbsprozess ist die Frage nach Ansicht des OLG nicht erheblich, weil eine etwaige Verfassungswidrigkeit des staatlichen Wettmonopols zwar möglicherweise zum Wegfall der Strafbarkeit nach § 284 StGB, nicht aber zur Unwirksamkeit der Strafvorschrift führe.

Das in § 284 Abs. 4 StGB ausgesprochene Werbeverbot verstoße auch nicht gegen die gemeinschaftsrechtliche Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Das OLG begründete dies nach den nunmehr veröffentlichten Urteilsgründen mit dem „Schöner Wetten“-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 1. April 2004 (Az. I ZR 317/01). In diesem Urteil hatte der BGH in einem obiter dictum ausgeführt, die Vorschrift des § 284 StGB „als solche“ verstoße nicht gegen die durch Art. 46 und 49 EG-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit. Selbst wenn die landesrechtlichen Vorschriften über die Erteilung einer behördlichen Erlaubnis zur Veranstaltung von Glücksspielen nicht mit dem EG-Vertrag vereinbar sein sollten, wäre deshalb die Veranstaltung von Glücksspielen im Internet für inländische Teilnehmer nicht erlaubnisfrei zulässig. Danach obliegt es nach Ansicht des OLG dem einzelnen Wettanbieter, bei der zuständigen Landesbehörde den Antrag auf Erteilung einer Zulassung zu stellen. In dem anschließenden Verwaltungsverfahren sei dann den „Belangen der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung Rechnung zu tragen“.

Kommentar:

Das OLG verkennt in grober Weise den Charakter der durch den EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten und die dazu ergangene einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Bezeichnenderweise zitiert das OLG keine einzige EuGH-Entscheidung, sondern vielmehr maßgeblich ein inzwischen überholtes, drei Jahre altes Urteil des BGH, das sich nur am Rande mit der Vereinbarkeit des § 284 StGB mit den Grundfreiheiten beschäftigt hat (mit der sehr begrenzten Aussage des BGH, dass diese verwaltungsrechtsakzessorische Vorschrift „an sich“ vielleicht nicht gemeinschaftswidrig sei, während Bedenken hinsichtlich der landesrechtlichen Regelungen bestünden). Zur Auslegung des europäischen Gemeinschaftsrechts ist allerdings allein der EuGH berufen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH gelten die Grundfreiheiten unmittelbar und gehen entgegen stehenden nationalen Vorschriften vor (Vorrang des Gemeinschaftsrechts). Jeder Bürger und jedes Unternehmen aus einem EU-Mitgliedstaat kann sich darauf berufen, ohne hierfür einen Antrag bei irgendeiner Behörde stellen zu müssen und Jahre oder Jahrzehnte seine Rechte auf dem Behörden- und Verwaltungsgerichtsweg durchzufechten (so jedoch offenkundig die Auffassung des OLG).

Erstaunlich ist auch, dass sich das OLG in den Urteilsgründen mit keinem Wort mit der bevorstehenden, unmittelbar einschlägigen Placanica-Entscheidung des EuGH auseinander setzt, die am 6. März 2007 verkündet werden wird. Der Generalanwalt des EuGH hatte in seinen Schlussanträgen vom 16. Mai 2006 den nunmehr auch vom OLG vertreten Ansatz, sich auf den Territorialcharakter der Zulassung zu berufen, als klaren Verstoß gegen die Gemeinschaftstreue verworfen. Aus dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung schloss der Generalanwalt: „Wenn danach ein Veranstalter aus einem anderen Mitgliedstaat die dort geltenden gesetzlichen Anforderungen erfüllt, müssen die Behörden des Staates, in dem die Dienstleistung erbracht wird, davon ausgehen, dass dies eine ausreichende Garantie für seine Integrität ist.“ Folgt der EuGH dieser Auffassung, dürfte sich das Urteil des OLG Celle für LOTTO Niedersachsen als teures Danäergeschenk erweisen.