Bundesverfassungsgericht nimmt mehrere von Arendts Anwälte eingelegte Verfassungsbeschwerden von Sportwettenvermittlern nicht an

Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Arendts Rechtsanwälte
Perlacher Str. 68
D - 82031 Grünwald (bei München)
Konflikt zwischen nationalen Gerichten und Europäischem Gerichtshof verschärft sich

Das Bundesverfassungsgericht hat mit mehreren heute zugestellten Beschlüssen vom 19. Oktober 2006 (Az. 2 BvR 2023/06, 2 BvR 2039/06 und 2 BvR 2067/06) Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfahren betreffen Sportwettenvermittler, die binnengrenzüberschreitend Verträge über Sportwetten an in einem anderen EU-Mitgliedstaat staatlich zugelassenen und dort laufend überwachten Buchmacher vermittelt hatten.

Die von der auf Glückspiel- und Wettrecht spezialisierten Kanzlei ARENDTS ANWÄLTE vertreten Vermittler hatten Untersagungsverfügungen erhalten, gegen die sich gerichtlich wehrten. Sie stellten beim Verwaltungsgericht Schutzanträge nach § 80 Abs. 5 VwGO und beriefen sich dabei insbesondere auf die Berufsfreiheit sowie auf die durch den EG-Vertrag garantierte Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit. Diese Schutzanträge wurden sowohl vom Verwaltungsgericht Augsburg wie auch in der zweiten Instanz vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen.

Dagegen legten die Vermittler Verfassungsbeschwerde ein und beriefen sich auf die offenkundige Europarechtwidrigkeit der bayerischen Rechtslage und auf den diesbezüglich fehlenden effektiven Rechtsschutz. Europarechtlich gebe es keine Übergangszeit, innerhalb der die Grundfreiheiten umgesetzt werden könnten, sondern diese gälten sofort und unmittelbar. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe daher zu Unrecht entgegen der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Übergangsfrist angenommen. Wenn ein Gericht die durch den EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten zeitweilig aussetzen wolle, müsse es diese Frage zunächst dem Europäischen Gerichtshof vorlegen.

Das Bundesverfassungsgericht bestätigte zunächst, dass der Europäische Gerichtshof gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz sei. Beim einstweiligen Rechtsschutz bestehe jedoch auch bei letztinstanzlich entscheidenden nationalen Gerichten keine Vorlagepflicht. Auch werde die derzeitige bayerische Rechtslage den Anforderungen an eine zulässige Einschränkung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gerecht.

Nach Ansicht von Rechtsanwalt Martin Arendts, ARENDTS ANWÄLTE, hebelt die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen offenkundig europarechtswidrige nationale Maßnahmen in unangemessener Weise aus. Durch die sofort vollziehbaren Untersagungsverfügungen würde letztlich ein endgültiges Ergebnis erreicht, das nicht mehr mit einer nach mehreren Jahren in der Hauptsache ergebenden anders lautenden Entscheidung korrigiert werden könne. Ein entsprechendes Vorlageverfahren habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) kürzlich verhandelt.

Das bestehende Regelungsdefizit ist nach Ansicht von Rechtsanwältin Alice Wotsch, ARENDTS ANWÄLTE, bislang nicht beseitigt worden. Erst bei einer verfassungs- und gemeinschaftsrechtskonformen Neuregelung des Angebots von Sportwetten könne gegen das grenzüberschreitende Angebot von Sportwetten vorgegangen werden.

Im Übrigen sei – so Arendts – europarechtlich der Mitgliedstaat, im vorliegenden Fall das Land Bayern, nach den Grundsätzen des Lindman-Urteils des EuGH dafür darlegungs- und beweispflichtig, dass die beschränkenden nationalen Maßnahmen erforderlich und verhältnismäßig seien. Dies sei bislang nicht einmal ansatzweise nachgewiesen und von den Gerichten auch nicht beachtet worden. Verbraucher- und Jugendschutz seien natürlich auch bei einem strengen gesetzlichen Vorschriften unterliegenden österreichischen Buchmacher gewährleistet. Insoweit sei die Sach- und Rechtslage klar diskriminierend und offenkundig vor allem durch fiskalische Gründe motiviert. Europarechtlich sei keineswegs nur ein „Mindestmaß an Konsistenz“ zu fordern, sondern eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung.

Von einer den Anforderungen des EuGH gerecht werden Rechtslage und Praxis sei man in Bayern noch weit entfernt. Der Minderjährigenschutz sei in Deutschland erst vor zwei Jahren gesetzlich eingeführt worden. Eine Überwachung erfolge offenkundig nicht. Bei mehreren Tests konnten Minderjährige in ca. 80% der Fälle Sportwetten bei den Annahmestellen für das staatliche Angebot abgeben. Auch seien die Werbeaufwendungen für das staatliche Angebot ODDSET nach einer Untersuchung von Nielsen Media Research im Zeitraum April bis Juli 2006 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um mehr als 70% gestiegen.

Sowohl die Verwaltungsgerichte wie auch das Bundesverfassungsgericht hatten die Schlussanträge des Generalanwalts des EuGH in der Rechtssache Placanica u. a. für unbeachtlich gehalten. Auch dies zeigt nach Ansicht von Arendts die Missachtung des Europarechts. Bei der im einstweiligen Rechtsschutz erforderlichen Interessenabwägung sei diese Rechtsauffassung zu berücksichtigen gewesen. Längerfristig bestehe die Gefahr eines Konflikts zwischen Bundesverfassungsgericht und EuGH. Die vom Bundesverfassungsgericht in seiner Sportwetten-Grundsatzentscheidung vom 28. März 2006 festgestellte Parallelität zwischen den verfassungs- und europarechtlichen Anforderungen werde zu einem Lippenbekenntnis, wenn man sich nunmehr mit deutlich geringeren Anforderung zufrieden gebe und die Kriterien des EuGH letztlich für unbeachtlich halte.