Europäischer Gerichtshof verhandelt zum Rechtsschutz bei Sportwetten

Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Arendts Rechtsanwälte
Perlacher Str. 68
D - 82031 Grünwald (bei München)
Zu dem Gambelli-Urteil, eine Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Dienstleistungsfreiheit bei Sportwetten, stehen nunmehr zahlreiche Folgeentscheidungen an. Wie berichtet, wird der Europäische Gerichtshof voraussichtlich noch in diesem Jahr seine Entscheidung in den verbundenen Rechtssachen Placanica u. a. (Rs. C-338/04, C-359/04 und C-360/04) verkünden. Folgt er in diesen drei aus Italien stammenden Vorlageverfahren den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 16. Mai 2006, bedeutet dies für Deutschland das faktische Ende des staatlichen Monopols für Sportwetten und Glücksspiele.

Unabhängig davon liegen dem Europäischen Gerichtshof zwei weitere Vorlageverfahren aus Italien vor, die sich mit der Dienstleistungsfreiheit bei Sportwetten beschäftigen (Rechtssachen C-466/05 und C-191/06). Diese betreffen Strafverfahren gegen Vermittler, die Verträge über Sportwetten an einen Buchmacher in einem anderen EU-Mitgliedstaat vermittelt hatten. Der Gerichtshof wird in diesen beiden Verfahren zu klären haben, ob die Niederlassung- und Dienstleistungsfreiheit durch strafrechtliche Sanktionen ausgehebelt werden kann und wie diese Grundfreiheiten bezüglich Sportwetten auszulegen sind.

Ein weiteres Vorlageverfahren, diesmal aus Schweden, wird der Europäische Gerichtshof in der nächsten Woche verhandeln. Die Große Kammer des Gerichtshofs wird am 3. Oktober 2006 mehrere von dem Högsta domstolen vorgelegte Fragen verhandeln (Rechtssache C-432/05, Unibet (London) Ltd und Unibet (International) Ltd gegen Justitiekanslern). In dem den britischen Buchmacher Unibet betreffenden Verfahren geht es um die gerade auch für Deutschland sehr wichtige Frage der Rechtsschutzmöglichkeit bezüglich einer gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG) verstoßenden nationalen Vorschrift. So fragte das schwedische Gericht, ob sich aus dem Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes die Zulässigkeit einer Klage ergibt, den Verstoß einer bestimmten nationalen Vorschrift gegen die Dienstleistungsfreiheit festzustellen (Vorlagefrage 1).

Die Frage des effektiven Rechtsschutzes stellt sich vor allem beim vorläufigen Rechtsschutz. Hier fragt das schwedische Gericht insbesondere, ob bis zur Klärung in der Hauptsache ein vorläufiger Rechtsschutz gegen eine (angeblich) gegen Gemeinschaftsrecht verstoßende nationale Vorschrift möglich sein muss (Vorlagefrage 2). In diesem Zusammenhang erkundigt sich das Gericht, ob für den vorläufigen Rechtsschutz gemeinschaftsrechtliche Kriterien anzuwenden sind (Vorlagefrage 3) und wie diese ggf. aussehen (Vorlagefrage 4).

Die Beantwortung dieser Fragen hat durchaus erhebliche Auswirkungen auch für Deutschland. In einem Eilverfahren, bei dem es um den Schutz einer Wettannahmestelle gegen eine Schließungsverfügung ging, ist das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen bekanntlich trotz ausdrücklich festgestellten Verstoßes gegen die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit von einer Suspendierung des Gemeinschaftsrechts ausgegangen (Beschluss vom 28. Juni 2006, Az. 4 B 961/06). Es hat Gemeinschaftsrecht nicht berücksichtigt, sondern einer gemeinschaftsrechtswidrige nationale Regelung zum Durchbruch verholfen, indem es den Schutzantrag des Wettvermittlers ablehnte. In ähnlicher Weise hat sich auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geäußert. Bejaht der Europäische Gerichtshof in diesem Verfahren die Vorlagefragen, müssen die nationalen Gerichte auch in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts Rechnung tragen. Gemeinschaftsrecht darf nicht (auch nicht vorübergehend) suspendiert werden, sondern muss bereits beim vorläufigen Rechtsschutz umfassend berücksichtigt werden. Im Zweifelsfall ist dem Schutzantrag zu entsprechen, bis die Rechtsfragen in dem Hauptsache-Verfahren geklärt sind.

Die vom Europäischen Gerichtshof in der Rechtssache C-432/05 (Unibet ./. Justitiekanslern) zu entscheidenden Vorlagefragen:

1. Ist das gemeinschaftsrechtliche Erfordernis, dass nationale Verfahrensvorschriften für die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Rechte des Einzelnen effektiven Rechtsschutz gewähren müssen, dahin auszulegen, dass eine Klage auf Feststellung, dass bestimmte nationale Vorschriften des materiellen Rechts gegen Artikel 49 EG verstoßen, zulässig sein muss, wenn die Vereinbarkeit der materiellen Rechtsvorschriften mit diesem Artikel anderenfalls nur als Vorfrage zum Beispiel im Rahmen einer Schadensersatzklage, eines Verfahrens wegen Verstoßes gegen die nationale materielle Rechtsvorschrift oder eines Verfahrens der gerichtlichen Überprüfung [rättsprövning] geprüft werden kann?

2. Bedeutet das gemeinschaftsrechtliche Erfordernis effektiven Rechtsschutzes, dass die nationale Rechtsordnung einen vorläufigen Rechtsschutz ermöglichen muss, durch den nationale Vorschriften, die der Ausübung eines angeblich auf dem Gemeinschaftsrecht beruhenden Rechts entgegenstehen, gegenüber dem Einzelnen außer Anwendung bleiben können, damit dieser das Recht ausüben kann, bis ein nationales Gericht über das Bestehen dieses Rechts abschließend entschieden hat?

3. Falls Frage 2 bejaht wird:

Ergibt sich aus dem Gemeinschaftsrecht, dass ein nationales Gericht in dem Fall, dass die Vereinbarkeit nationaler Vorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht in Frage gestellt wird, bei einer materiellen Prüfung der Anträge auf vorläufigen Schutz von auf dem Gemeinschaftsrecht beruhenden Rechten nationale Rechtsvorschriften über die Voraussetzungen für den vorläufigen Rechtsschutz anwenden muss, oder muss das nationale Gericht in einem solchen Fall gemeinschaftsrechtliche Kriterien für den vorläufigen Rechtsschutz anwenden?

4. Falls Frage 3 dahin beantwortet wird, dass gemeinschaftsrechtliche Kriterien anzuwenden sind: Welche sind diese Kriterien?