Die Vermittlung von Oddset-Sportwetten darf auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 28.03.2006 vorläufig nicht untersagt werden

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat mit Beschluss vom 17.07.2006 einem Betreiber, der in Räumen eines Gebäudes in Herrenberg Oddset-Sportwetten an in Großbritannien und Ös-terreich niedergelassene Unternehmen vermittelt, vorläufigen Rechtsschutz gegen die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung der Stadt Herrenberg vom 30.05.2006 gewährt. Mit die-ser Verfügung untersagte die Stadt Herrenberg die weitere Vermittlung von Oddset-Sportwetten, räumte hierzu eine Abwicklungsfrist bis 16.06.2006 ein und drohte ein Zwangs-geld an. Das Gericht setzte die Vollziehung der auf den Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland vom 18.12.2003 (LottStV) gestützte Untersagungsverfügung aus.

Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart hat in ihrem Beschluss hierzu ausgeführt:

Das Gericht habe gegenwärtig erheblich Zweifel daran, dass vorliegend von einem „uner-laubten“ Glücksspiel ausgegangen werden könne. Dieses folge zunächst schon aus nationa-len verfassungsrechtlichen Aspekten. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil vom 28.03.2006 (1 BvR 1054/01) das Gesetz des Freistaates Bayern vom 29.04.1999 aus-drücklich für verfassungswidrig erklärt, weil dieses das dort eingerichtete Monopol weder gesetzlich noch nach dem Verwaltungsvollzug konsequent am Ziel der Bekämpfung der Suchtgefahren ausgerichtet gehabt habe. Nur unter Beachtung strikter Vorgaben sei dies für eine Übergangszeit bis 31.12.2007 hingenommen worden. Gegenstand der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei zwar nicht der LottStV gewesen. Nach Überzeugung der Kammer genüge aber auch dieser nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherstellung einer hinreichend effektiven Suchtbekämpfung. Jedenfalls aber genüge auch der aktuelle Vollzug nicht den strikten Anforderungen des Urteils des Bundesverfas-sungsgerichts vom 28.03.2006, in dem u.a. auch für die Übergangszeit bestimmt worden sei, dass die Werbung der Monopolbetriebe sich zur Vermeidung eines Aufforderungscharakters bei Wahrung des Ziels, legale Wettmöglichkeiten anzubieten, auf eine Information und Auf-klärung über die Möglichkeiten zum Wetten zu beschränken habe. In dem Internetauftritt der „Staatlichen Toto-Lotto GmbH Baden-Württemberg“ am 17.07.2006 (http://lotto-bw.de) – im-merhin 3 ½ Monate nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts werde zwar auf die Suchtgefahren und Jugendschutz hingewiesen und darauf, dass Lotto nur ein Spiel sei, gleichwohl werde nach wie vor auf eine mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht zu vereinbarenden Art und Weise, die geeignet sei, den Interessenten „den Mund wässrig zu machen“, auf hohe Gewinnmöglichkeiten hingewiesen, was nichts mit einer neut-ralen Information über das Spiel und seinen bloßen Ablauf zu tun habe. Es werde dabei ins-besondere durch Verweis auf verschiedene tatsächlich erzielte Gewinne einzelner Teilneh-mer der Eindruck erweckt, dass es für jeden ein Leichtes sei, auch zu diesen Glücklichen zu zählen, wenn man sich nur aktiv und mit einem die Gewinnchancen möglichst erhöhenden großen Einsatz am Spiel beteilige. Dieses eine glückliche Welt vermittelnde Bild setze sich auf den jeweils angebotenen Links konsequent fort. Unter diesen Voraussetzungen könne aber ein entsprechender im LottStV enthaltener Erlaubnisvorbehalt, geschweige denn die Fortführung eines Monopols keinen Bestand haben.

Auch gemeinschaftsrechtlich bestünden aus den gleichen Gründen erhebliche Bedenken, dass der Erlaubnisvorbehalt oder gar eine Monopolisierung unter Berücksichtigung der Vor-gaben des Europäischen Gerichtshofs – EuGH – in seinem Urteil vom 06.11.2003 (Gambelli) Bestand haben könne.Die gegenwärtige Rechtslage in der Bundesrepublik wie auch der Ge-setzesvollzug erfüllten nicht die vom EuGH aufgestellten Anforderungen mit der Folge, dass grundsätzlich die hier in Rede stehenden nationalen Regelungen wegen des Anwendungs-vorrangs des Gemeinschaftsrechts keine Anwendung finden könnten. Es spreche in diesem Zusammenhang schon einiges dafür, dass Übergangsbestimmungen wie die des Bundesverfassungsgerichts (bis 31.12.2007) nur vom EuGH getroffen werden könnten. Jedenfalls müssten derartige vorübergehend von nationalen Organen festgelegte Fälle der Nichtanwendung des Gemeinschaftsrechts absoluten Ausnahmecharakter haben. Die Voraussetzungen für einen solchen Ausnahmefall seien aber nicht gegeben, zumal dann, wenn, wie gezeigt, weiter in unzulässiger und unvertretbarer Weise geworben werde. Auch sei in der jüngsten Vergangenheit immerhin über längere Zeit der aktuelle Zustand unter aktiver Beteiligung der in staatlicher Regie betriebenen Monopolunternehmen hingenommen worden, ohne dass es, soweit ersichtlich, zu völlig unzuträglichen Verhältnissen gekommen wäre, die eine schwere Beeinträchtigung des Allgemeinwohls zur Folge gehabt hätten und weiter hätten, wenn die ohnehin anstehende Entscheidung des Gesetzgebers zu einer Neuordnung des Glückspiel- und Lotteriewesens abgewartet würde.

Gegen den Beschluss (4 K2657/06) ist die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof Ba-den-Württemberg in Mannheim gegeben, die innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen ist.

Ulrike Zeitler, Richterin am Verwaltungsgericht – Pressesprecherin –