Immer wieder Gambelli

Rechtsanwalt Rolf Karpenstein zu 1 BvL 2/14 (BVerfG, Beschluss vom 09.09.2014)

Weitgehend unbemerkt hat sich die 2. Kammer des 1. Senats beim BVerfG mit dem Beschluss vom 09.09.2014 zum unionsrechtswidrigen Sportwettmonopol der Bundesländer positioniert. Die erneute Richtervorlage des LG Berlin sei erneut unzulässig.

Nur eine weitere Standard-Entscheidung der 2. Kammer? Ein klares Nein. Der Beschluss ist erstens begründet und zweitens richtig. Das gibt Anlass, ihn genau zu betrachten.

Wie im Jahre 2006 (BVerfG 1 BvR 1054/01) greift das höchste deutsche Gericht auf Gambelli zurück. Das ist vorbildlich (https://www.isa-guide.de/isa-law/articles/77392.html). Entgegen dem Berliner Vorlagegericht könne sich der nach § 284 StGB angeschuldigte türkische Vermittler selbstverständlich auf die an den Staat gerichtete höherrangige Verbotsnorm des Artikels 56 AEUV berufen, die dem Veranstalter das Recht auf freien Dienstleistungsverkehr (dazu https://www.isa-guide.de/isa-law/articles/123184.html) garantiert. Die Ansicht des Berliner Vorlagegerichts, die der Sicht des 8. Senats beim Bundesverwaltungsgericht in 8 C 13.09 (Urt. vom 24.11.2010) entspricht, sei „offensichtlich unhaltbar, da sie nicht mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache „Gambelli“ vereinbar ist.“

Scharfe Geschütze aus Karlsruhe: „Offensichtlich unhaltbar“ argumentiere das Vorlagegericht, das eigentlich gem. Art. 100 GG vorlegte, um effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten: „Die Ausführungen des Landgerichts, der persönliche Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit sei im Hinblick auf den Angeschuldigten als Wettvermittler nicht eröffnet, gehen damit an der Sache vorbei“ watscht das BVerfG weiter ab. Die bemühten Berliner Richter dürften sich gefühlt haben wie einst ein bemühter Abwehrspieler bei seiner Auswechselung in der 32. Spielminute.

In Gambelli steht also auch, dass sich ein türkischer Vermittler auf den freien Dienstleistungsverkehr berufen kann. Aber wieso hat das Bundesverwaltungsgericht dies in 8 C 13.09 (Rn. 84 f.) ausgeblendet? Lassen wir das. Drei Herren mit Verfassungsrang räumen ja nunmehr auf: In Rn. 58 von Gambelli habe der Gerichtshof ausgeführt, dass ein an den Vermittler gerichtetes Verbot „eine Beschränkung des Rechts des Buchmachers auf freien Dienstleistungsverkehr darstellt“. Diese Aussage des EuGH sei „unmissverständlich“: „Der Gerichtshof stellt damit unmissverständlich klar, dass ein an den Wettvermittler gerichtetes strafbewehrtes Verbot von Sportwetten die Dienstleistungsfreiheit des Buchmachers, das heißt des Wettanbieters beschränkt.“ Bei einem staatlichen Eingriff gegen einen Vermittler, stehe „eine Verletzung der Dienstleistungsfreiheit des Wettanbieters infrage“, so das BVerfG. Es sei „der persönliche und der sachliche Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit allein in Bezug auf den Wettanbieter zu prüfen“.

Weiter das BVerfG: „Die Unzulässigkeit eines an den Wettvermittler gerichteten strafbewehrten Verbots leitet sich von der Dienstleistungsfreiheit des Wettanbieters ab.“ Diese unmissverständliche EuGH-Rechtsprechung, klärt uns Karlsruhe auf, sei im Hinblick auf das unionsrechtliche Effektivitätsprinzip sogar zutreffend, „um der Dienstleistungsfreiheit des Wettanbieters zur Geltung zu verhelfen“.

Mit dieser unmissverständlichen Bestätigung, dass staatliche Übergriffe gegen einen Wettvermittler unmittelbare Eingriffe in das Recht des Wettveranstalters auf freien Dienstleistungsverkehr sind, offenbart die 2. Kammer drei korrekturbedürftige und „offensichtlich unhaltbare“ Defizite der deutschen Gerichts- und Verwaltungspraxis, die es spätestens seit Gambelli nicht geben dürfte:

  • Die Sicht des 8. Senats beim BVerwG in 8 C 13.09 (Rn. 84 ff.), ein türkischer Vermittler könne sich nicht auf den freien Dienstleistungsverkehr gegenüber staatlichen Eingriffen berufen, ist „offensichtlich unhaltbar“. Dies sieht auch die Kommission in ihrer schriftlichen Stellungnahme an den EuGH in der Rechtssache C-336/14 ebenso und pflichtet dem vorlegenden Amtsgericht Sonthofen bei. Dem Vermittler steht das Recht auf freien Dienstleistungsverkehr des mit ihm assoziierten Wettveranstalters zur Seite, um Eingriffe der Exekutive, Legislative und Judikative abzuwehren.
  • Die reflexartige richterliche Weigerung, EU-Wettveranstalter in gerichtlichen Verfahren von Vermittlern gegen Behörden beizuladen und den Erkenntnisgewinn, den diese Beiladung vermittelt, zu schmähen, ist „offensichtlich unhaltbar“. Ein gegen den Vermittler gerichtetes Verbot stellt – so EuGH und BVerfG in vollkommener Harmonie – „eine Beschränkung des Rechts des Buchmachers auf freien Dienstleistungsverkehr dar“ (Gambelli, Rn. 58). Die Verwaltungsgerichte müssen also den Wettveranstalter gem. § 64 Abs. 2 VwGO notwendig beiladen, weil sie gleichzeitig und unmittelbar in seine Rechte eingreifen.
  • Eingriffe gegen Vermittler von Konzessionsnehmern durch Aufsichtsbehörden außerhalb der hessischen Aufsicht sind „offensichtlich unhaltbar“. Nach § 9a Abs. 3 GlüÄndStV übt Hessen gegenüber den Konzessionsnehmern (dies sind in Abgrenzung zum Konzessionsinhaber alle Konzessionsbewerber; vgl. § 4a Abs. 4 GlüÄndStV) die Aufsicht „mit Wirkung für alle Länder“ aus. Weil aber ein Übergriff der Verwaltung gegen einen Vermittler nach höchstrichterlicher Rechtsprechung aus Luxemburg und Karlsruhe einen durch Artikel 56 AEUV grundsätzlich verbotenen Eingriff in die Rechte des Veranstalters darstellt, ist allein Hessen zuständig.

Erfahrungsgemäß könnte es Jahre dauern, bis diese unmissverständlichen Vorgaben des EuGH und des BVerfG Eingang in die Verwaltungs- und Gerichtspraxis finden. Das könnte fatal sein, nicht nur wegen der Staatshaftung. Die absichtliche Missachtung höchstrichterlicher Vorgaben ist kein Kavaliersdelikt. Und wer möchte sich schon von der aufrechten Staatsanwaltschaft z. B. aus Kempten oder Augsburg vorwerfen lassen, Gambelli zu missachten und Entscheidungen zu treffen, die auch aus Sicht der Verfassungsrichter Schluckebier, Paulus und Gaier „offensichtlich unhaltbar“ sind?

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