Verwaltungsgericht München: Bayerisches Staatslotteriegesetz europarechtswidrig und daher nicht anwendbar

Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Arendts Rechtsanwälte
Perlacher Str. 68
D - 82031 Grünwald (bei München)
Das Verwaltungsgericht München hatte, wie im Newsletter „Sportwettenrecht aktuell“ Nr. 33 berichtet, am 7. Juni in mehreren Urteilen ablehnende Bescheide des Bayerischen Innenministeriums aufgehoben. Der Rechtsanwaltskanzlei ARENDTS ANWÄLTE (www.wettrecht.de) wurden heute die Urteilsgründe zum Aktenzeichen M 16 K 04.6138 zugesandt.

In diesem Urteil trifft das Verwaltungsgericht folgende Kernaussagen:

  • Das vom Bundesverfassungericht bemängelte Regelungsdefizit bei Sportwetten ist bislang nicht beseitigt worden.
  • Das Bundesverfassungsgericht hat keine europarechtliche Beurteilung hinsichtlich des Sportwettenmonopols vorgenommen (anders die Auffassung der Monopolbefürworter).
  • Im Bereich der Grundfreiheiten (für Sportwetten vor allem die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit) sind Übergangsregelungen dem Europarecht fremd. Europarechtswidrige Vorschriften sind sofort nicht anzuwenden.
  • Die derzeitige Gesetzeslage und deren Vollzug im Freistaat Bayern erfüllen nicht die Gambelli-Kriterien und sind daher europarechtswidrig. Das Bayerische Staatslotteriegesetz und entsprechende beeinträchtigende Regelungen des Staatslotterievertrages sind damit nicht anwendbar.
  • Es gibt keine kohärente und systematische Glücksspielpolitik, die neben Sportwetten auch Spielbanken, Lotterien, Pferdewetten, Fernseh- und Radiogewinnspiele kohärent und konsistent an den Allgemeininteressen ausgerichtet zu regeln hätte. Hierfür wäre angesichts des Gesetzesvorbehalts auch eine gesetzliche Regelung erforderlich.

Das Gericht führt in dem insgesamt 43 Seiten umfassenden Urteil zur Rechtslage beim binnengrenzüberschreitenden Angebot von Sportwetten aus:

„Der gegenständliche Bescheid des Bayerischen Staatsministeriums des lnnern vom 4. November 2004 unter dem Az. I A 4-2161.5 – 67 ist rechtswidrig. Das Bayerische Staatsministerium des lnnern verkennt mit den Ausführungen im gegenständlichen Bescheid die europarechtlichen Vorgaben. So ist sowohl zum Zeitpunkt der Antragstellung, des Bescheidserlasses als auch zum aktuellen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 7. Juni 2006 im Freistaat Bayern zur Überzeugung der erkennenden Kammer eine europarechtswidrige Situation gegeben, wenn Veranstaltern und Vermittlern von privaten Sportwetten bei europarechtlichem Bezug die Erlaubnis bzw. Anerkennung einer Berechtigung hierfür mit Verweis auf ein grundsätzlich bestehendes Verbot der privaten Sportwettveranstaltung und -vermittlung im Freistaat Bayern verwehrt wird.

a) Unabhängig davon, ob entscheidungserheblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit des gegenständlichen Bescheids der Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids war oder aber der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung relevant wäre, ist der gegenständliche Bescheid europarechtswidrig.

(1) Dem erkennenden Gericht ist nicht verwehrt, die Europarechtskonformität der bayerischen Rechtslage zum Sportwettmonopol eigenständig zu prüfen. Das Gericht sieht sich insoweit nicht in einer Bindungswirkung nach § 31 BVerfGG dahingehend, dass die vom BVerfG ausgesprochene Übergangsregelung und das bestehende Verbot der Sportwettenvermittlung und Veranstaltung durch Private bis zu einer Neuregelung auch aus europarechtlicher Sicht gelte. Das BVerfG hat nämlich keine europarechtliche Beurteilung hinsichtlich der Rechtslage zum Sportwettenmonopol in Bayern vorgenommen, die Bindungswirkung für die Prüfung durch die nationalen Gerichte entfalten könnte. Ausdrücklich hat es in Rdnr. 77 im Urteil vom 28.3.2008 Az. 1 BvR 1054/01 vielmehr ausgeführt, dass eine Überprüfung der EU-Grundfreiheiten im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde ausscheide. Ein möglicher Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht sei auch nicht mit der Begründung rügefähig, angesichts des Anwendungsvorrangs des europäischen Gemeinschaftsrechts könnte es ggf. schon an einem anwendbaren, den Gesetzesvorbehalt eines Grundrechts ausfüllenden Gesetz und damit an einer Beschränkung der grundrechtlichen Gewährleistung fehlen. Für die insoweit maßgebliche Frage der Vereinbarkeit einer innerstaatlichen Norm des einfachen Rechts mit den Bestimmungen des europäischen Gemeinschaftsrechts sei es nicht zuständig (BVerfG a.a.0. Rdnr. 77 mit Verweis auf BVerfGE 145 (174f.) und 82, 159 (191)). Die Auffassung von Hecker/Schmitt, dass das BVerfG Bedenken der Europarechtskonformität ausdrücklich erwähnt hätte und sich aus der Erklärung der Anwendbarkeit des § 284 StGB ergebe, dass das BVerfG daher auch von dessen Europarechtskonformität ausgehe (Hecker/Schmitt, a.a.0. S. 64), ansonsten eine Nichtanwendbarkeit aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts von Nöten gewesen wäre (vgl. Dübbers/Kartal, Kommentar zur BVerfGE, ZfWG 2006,33 (35)) steht zu den Ausführungen des BVerfG Im klaren Gegensatz. Das erkennende Gericht sieht sich aber aufgrund der Bindungswirkung nach § 31 BVerfGG daran gebunden, dass gerade noch keine europarechtliche Überprüfung durch das BVerfG stattfand, die wiederum Bindungswirkung entfalten könnte.

Die Auffassung von Schmidt (Das Vorgehen gegen Illegale Sportwetten in Bayern, GewArch 2006,177 (178)), aus der Entscheidung des BVerfG ergebe sich klar, dass das dort geregelte übergangsweise Verbot der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten euch für auf der Grundlage von in EU-Mitgliedstaaten erteilten Erlaubnisse gelte. weil die von der dortigen Beschwerdeführerin in den Ausgangverfahren gestellten Anträge auf Genehmigung der Vermittlung von Sportwetten ins EU-Ausland endgültig gescheitert seien, übersieht den verfassungsgerichtlichen Streitgegenstand. So hatte das Bundesverfassungsgericht nicht über den Genehmigungsanspruch an sich zu entscheiden, sondern über etwaige Grundrechtsverletzungen. Ob die Versagung der Genehmigung europarechtswidrig war, hatte und konnte das BVerfG angesichts seines nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG eingeschränkten Überprüfungsspielraums nicht beurteilen. Schließlich sieht sich das BVerfG selber nicht als Superrevisionsinstanz.

Die vom BVerfG bestimmte Übergangsfrist führt bei Erfüllung der dortigen Auflagen zur Überzeugung des Gerichts nicht per se zu einem europarechtskonformen Zustand (a.A. VG Münster vom 2.6.2006 Az. 9 L 379/06; und wohl auch Schmidt, a.a.O., S. 178). So sind Übergangsregelungen im Bereich der Grundfreiheiten dem Europarecht grundsätzlich fremd (VG Arnsberg vom 23.5.2006 Az. 1 L 379/06; VG Minden vom 26.5.2006 Az. 3 L 241/06; Dübbers/Kartal, a.a.O. S.34) Vielmehr ist angesichts des europarechtlichen Anwendungsvorrangs durch Nichtanwendung europarechtswidriger Vorschriften sofort ein europarechtskonformer Zustand herbeizuführen. Die vom EuGH im Verfahren C 317/04 und C 318/04 vom 30. Mai 2006 selbst bestimmte Übergangsregelung erfolgte ersichtlich aus einem anderen Schutzzweck heraus, nämlich „aus Gründen der Rechtssicherheit und zum Schutz der betroffenen Person“ (Pressemitteilung Nr. 46/06 vom 30.5.2006). Der den Mitgliedstaaten vom EuGH eingeräumte Spielraum bei der Glücksspielpolitik und die grundsätzliche Notwendigkeit einer Transformation der europäischen Vorgaben in nationales Recht (S.O.) führen im übrigen nicht zur einer derweiligen Tolerierung europarechtswidriger Zustande – außerhalb eingeräumter Umsetzungsfristen – und Abschwächung des Anwendungsvorrangs. Die vom BVerfG gesetzte Übergangsfrist ist somit nicht als eine Frist zur Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben zu verstehen, in deren Zeitraum ein europarechtswidriger Zustand hinzunehmen wäre (a.A. wohl VG Halle vom 4.5.2006 Az. 3 B 56/06 HAL).

(2) Es kann somit für das vorliegende Verfahren. das erlaubnisrechtlicher und nicht ordnungsrechtlicher Natur ist, dahinstehen, ob der Beklagte nunmehr (nach den Änderungen im Oddsetwesen entsprechend der Pressemitteilung vom 4.4.2006 und den Ausführungen der Bayerischen Staatlichen Lotterieverwaltung anhand des vorgelegten Maßnahmenkatalogs in der mündlichen Verhandlung) die Vorgaben des BVerfG im zitierten Urteil vom 28. März 2006 für die Obergangszelt erfüllt, da diese Übergangsfrist gerade nicht für die europarechtliche Beurteilung von Belang ist. Aus europarechtlicher und damit hier streitentscheidender Sicht kommt es darauf an, ob der Beklagte die Anforderungen des Europarechts, wie sie vorrangig im Gambelli-Urteil ausgeführt wurden, erfüllt. Daraus folgt, dass der Beklagte die Anforderungen hinsichtlich einer kohärenten und systematischen Glücksspielpolitik, die, wie ausgeführt, wohl normativer Ausprägung bedarf, unverzüglich zu erfüllen hat. will er weiterhin private Anbieter aus dem EU-Ausland vom bayerischen Markt fernhalten.

b) Eine Versagung der begehrten Erlaubnis bzw. Anerkennung der Berechtigung der Klägerin zur Veranstaltung bzw. Vermittlung von Sportweiten im Freistaat Bayern ist europarechtswidrig, wenn – wie hier erfolgt – dieses Begehren alleine in Bezug auf das im Freistaat Bayern bestehende Verbot der Sportwettenveranstaltung und Vermittlung durch Private begründet wird.

(1) Die Versagung von Erlaubnissen bzw. anerkennender Akte ausländischer Erlaubnisse zur Veranstaltung oder Vermittlung von Sportwetten – und damit die derzeitige Lage im Freistaat Bayern aufgrund des Staatslotteriegesetzes und des Staatslotterievertrages – stellt grundsätzlich eine Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit im Sinne von Art. 43 EG bzw. der Dienstleistungsfreiheit im Sinne von Art. 49 EG dar (vgl. EuGH – Gambelli – Rdnr. 44 – 59, insb. Rdnr. 46 zur Niederlassungsfreiheit, Rdnr. 54f. zur Dienstleistungsfreiheit des Veranstalters und Rdnr. 58 zur Dienstleistungsfreiheit des Vermittlers; EuGH – Zenatti – Rs. C-67/98 vom 21.10.1999 Slg. 1999, 1-7289 Leitsatz).

(…)

(3) Die derzeitige Gesetzeslage und deren Vollzug im Freistaat Bayern erfüllen jedoch nicht die vorn EuGH im Gambelli-Urteil aufgestellten Anforderungen an eine solche Rechtfertigung.

aa) Diesbezüglich kann und muss angesichts des § 31 BVerfGG auf die Ausführungen im Urteil des BVerfG vom 28.3.2006 Az. BvR 1054/01 Bezug genommen werden.

So ist nach dessen Auffassung das im Rahmen des Wettmonopols eröffnete Sportwettenangebot Oddset nicht konsequent am Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaff und Bekämpfung der Wettsucht ausgerichtet (BVerfG, Rdnr. 120). Das Staatslotteriegesetz enthalte keine entsprechenden materiellrechtlichen Regelungen und strukturellen Sicherungen, die dies hinreichend gewährleisten. Die Mängel in der konkreten Ausgestaltung von Oddset stellten nicht nur ein Defizit im Vollzug des einfachen Rechts dar, sondern es drücke sich darin vielmehr ein entsprechendes Regelungsdefizit aus (Rdnr. 120). Dieses Regelungsdefizit spiegele sich dann wider, dass auch tatsächlich eine konsequente Ausrichtung der durch den Freistaat Bayern veranstalteten Wetten am Ziel der Bekämpfung von Wettsucht und problematischen Spielverhalten sowie der Begrenzung der Spiel- und Wettleidenschaft gegenwärtig nicht gegeben sei (Rdnr. 132). So verfolge die Veranstaltung der Sportwette Oddset erkennbar auch fiskalische Zwecke (Rdnr. 133) und sei nicht aktiv an einer Bekämpfung von Spielsucht und problematischen Spielverhalten ausgerichtet, sondern erscheine vielmehr im Rahmen wirtschaftlich effektiver Vermarktung als grundsätzlich unbedenkliche Freizeitbeschäftigung (Rdnr. 134). Das erklärte Ziel der Markterschließung der Zielgruppe 18 – 40jähriger (Rdnr. 135), die breit angelegte Werbung (Rdnr. 136). ein derart breit gefächertes Vertriebsnetz von Lotto-Annahmestellen mit der Maxime „weites Land – kurze Wege“, wodurch die Möglichkeit geschaffen werde, Sportwetten zu einem allerorts verfügbaren normalen Gut des täglichen Lebens zu machen (Rdnr. 138), nicht effektiv jugendschützendes Internetangebot (Rdnr. 139) und die wenig beschränkende Präsentation des Wettangebots (Rdnr. 140f) bewirkten, dass die geltende Rechtslage nicht ausreiche, um das Monopol zu legitimieren und allein damit den Ausschluss privatwirtschaftlicher Unternehmen vom Veranstalten von Sportwetten verfassungsrechtlich zu begründen (Rdnr. 142).

Das Bundesverfassungsgericht führt in diesem Zusammenhang aus, dass „insofern“ die Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts parallel zu den vom EuGH zum Gemeinschaffsrecht formulierten Vorgaben liefen (Rdnr. 144). Daraus ergibt sich zur Überzeugung des erkennenden Gerichts und angesichts der Bindungswirkung des § 31 BVerfGG, dass das bisherige bayerische Sportwettmonopol nicht nur nach nationalem Recht, vielmehr auch europarechtlich beurteilt keine Rechtfertigung darstellen kann, da es nicht an rechtfertigenden Zielen zum zwingenden Schutz des Allgemeininteresses ausgerichtet ist. (…)

bb) Darüber hinaus wird im Freistaat Bayern auch derzeit keine kohärente und systematische Glücksspielpolitik im Sinne des EuGH und der europarechtlichen Vorgaben betrieben (vgl. hierzu auch Redeker/Sellner/Dahs & Widmaier, a.a.O.. S. 18ff).

Das Anforderungsprofil des EuGH geht zur Rechtfertigung von beschränkenden Maßnahmen noch über die Ausführungen des BVerfG hinaus, welches auch nur „insofern“ (vgl. BVerfG, a.a.O. Rdnr. 144) einen Gleichlauf attestierte. als es zuvor prüfte, ob das Sportwettenmonopol konsequent an rechtfertigenden Zielen ausgerichtet sei. Der EuGH verlangt über die Zielausrichtung hinaus, die nach Auffassung des BVerfG bereits nicht gegeben ist, dass die Beschränkungen geeignet sein müssen, die Verwirklichung dieser Ziele in dem Sinne zu gewährleisten, dass sie kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beitrage (EuGH – Gambelli – Rdnr. 67). Es bedarf also einer kohärenten und systematischen Glückspielpolitik im gesamten, wozu auch Spielbanken, Lotterien, Pferdewetten, Fernseh- und Radiogewinnspiele gehören. Dies spiegelt sich auch In Rdnr. 69 des Gambelli-Urteils und in dessen Leitsatz wieder, wonach eine Rechtfertigung mit Bezugnahme auf die öffentliche Sozialordnung ausgeschlossen wird, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats die Verbraucher zur Teilnahme an Lotterien, Glücksspielen und Wetten anreizen und ermuntern, um daraus Einnahmen zu erzielen. Der EuGH verlangt somit zur Überzeugung der Gerichts eine ganzheitliche Glücksspielpolitik. Eine solche Glücksspielpolitik wird im Freistaat Bayern jedoch nicht betrieben (vgl. z.B. die Ausführungen von Redeker/Sellner/Dahs & Widmaier, a.a.O. Seite 18ff.).

Insofern erachtet das Gericht trotz der in der mündlichen Verhandlung vorgestellten kurzfristigen Änderungen im Oddset-Bereich in Bayern die Auffassung des OVG Magdeburg vom 4.5.2006, des VG Gelsenkirchen vom 29.5.2006 Az 7 L 701/06 und im Ansatz auch des VG Bayreuth vom 27.4.2006 Az. B 1 S 06.283, dass angesichts der umgehend ergriffenen Maßnahmen mit teilweise erheblichen Einschränkungen für Oddset-Wetten die aktuelle staatliche Ausgestaltung des Wettmonopols auch den Anforderungen des EuGH zur Rechtfertigung von Beschrankungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs gerecht werde und somit kein Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht mit der Folge einer teilweisen Nichtanwendung von Vorschriften des Glücksspielgesetzes bestehe, für nicht zutreffend.

In diesem Zusammenhang ist auch auf die Ausführungen des Bundeskartellamtes vom 24. Mai 2006 Gesch.-Z. B 10 – 148/05 zu verweisen, in denen schwerwiegende kartellrechtliche und europarechtliche Bedenken gegen die lotterierechtliche Gestaltung und Aufteilung des deutschen Marktes und insbesondere § 5 Abs. 3 des Lotteriestaatsvertrages selbst betreffend (Seite 136 a.a.O.) erhoben werden.

Auch im Sportwettenwesen selber bestehen im übrigen nach Ansicht des Gerichts trotz der vorgenommenen Änderungen im Oddset-Bereich noch weiterhin Bedenken hinsichtlich Kohärenz und Konsistenz sowie einer klaren Ausrichtung des Sportwettenwesens an den schutzwürdigen hohen Zielen des Allgemeininteresses. So sind gegenwärtig erhebliche Defizite im Bereich Aufsichtwesen, Werbung/Sponsoring, dem umfassenden Vertriebsnetz und dem Durchgreifen ordnungsrechtlicher Art erkennbar.

Unabhängig davon sieht es das Gericht als notwendig an, die vom EuGH geforderte kohärente und systematische Glucksspielpolitik nicht nur im faktischen Vollzug auf Exekutivebene zu betreiben, sondern angesichts des Gesetzesvorbehalts (Art. 19 Abs. 1 GG) diese in normierter Weise in Gesetz zu gießen, gerade wenn hiermit in Grundrechte eingegriffen wird. In diesem Zusammenhang wird auch wiederum auf die Ausführungen des BVerfG verwiesen, die nicht nur ein Vollzugsdefizit, sondern vielmehr auch ein Regelungsdefizit im Staatslotteriegesetz konstatieren (BVerfG a.a.O. Rdnr. 120). Aus Rdnr. 156 ergibt sich auch deutlich, dass das BVerfG von einer Neuregelung durch‘ den Gesetzgeber (Landes- oder Bundesgesetzgeber) ausgeht und nicht nur von faktischen Vollzugsänderungen.

Es kann dahinstehen, ob die Vorgaben des BVerfG für die Übergangszeit derzeit erfüllt werden, da das vom BVerfG bemängelte Regelungsdefizit bis zur mündlichen Verhandlung am 7. Juni 2008 unzweifelhaft nicht beseitigt wurde. So zeigt sich bereits an der Protokollnotiz am Ende der Beschlüsse der lnnenminister auf der Innenminister-Konferenz am 5.5.2006, dass noch keine abschließende Meinungsbildung bundesweit dazu stattgefunden hat, ob das Staatsmonopol tatsächlich fortgeführt werden soll oder eine teilweise Öffnung des Marktes in Betracht zu ziehen sei. Vielmehr ist nach Auskunft des Klägerbevollmächtigten eine politische Initiative zur Sportwettenregelung seitens der FDP-Fraktion in den Bundestag eingebracht worden. Erst die Beseitigung dieses Regelungsdefizits wird jedoch einen verfassungskonformen und europarechtskonformen Zustand herbeizuführen in der Lage sein.

(4) Mangels Rechtfertigung der Grundfreiheitenbeeinträchtigung und aufgrund der europarechtlichen Konsequenz der Unanwendbarkeit einer europarechtswidrigen Regelung ist von der Nichtanwendbarkeit des Bayerischen Staatslotteriegesetzes sowie der entsprechenden beeinträchtigenden Regelungen des Staatslotterievertrags mit dem Ausschluss privater Veranstalter und Vermittler von Sportwetten vom Glücksspielmarkt auszugehen. Nachdem sich der gegenständliche Bescheid jedoch auf gerade diese europarechtswidrige und damit nicht anwendbare Situation bezieht. ist dieser rechtswidrig. Die Möglichkeit einer Erlaubnis für private Sportwettveranstalter und Vermittler kann ohne weitere Rechtfertigung nicht kategorisch, wie es der Beklagte im gegenständlichen Bescheid tut, ausgeschlossen werden (vgl. auch BGH vom 14.3.2002, Az. I ZR 279/99 NJW 2002, 2175 (2176), der für den Fall einer Europarechtswidrigkeit des Sportwettenmonopols eine solche Konsequenz ins Feld führt).“

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