Kommentar zum Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden

von RA Alexander Hornung, Karlsruhe

Das Verwaltungsgericht Minden hat mit Beschluss vom 26.05.06 (AZ: 3 L 249/06) festgestellt, dass das Recht der Sportwette im Land NRW gegen die Verfassung verstößt. Wie schon das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 28.03.06 (1 BvR 1054/01) für den Freistaat Bayern festgestellt hat, ist es mit Artikel 12 Grundgesetz nicht vereinbar, dass der Staat einerseits über ein exorbitantes Vertriebsnetz seine eigenen Glücksspielprodukte vertreibt und andererseits dies den privaten Anbietern verbietet mit der Begründung, Sportwetten machen süchtig.

Weiterhin stellt das Verwaltungsgericht fest, dass selbst wenn im Land NRW die Maßgaben, welche das Bundesverfassungsgericht im Freistaat Bayern zur vorübergehenden Weiterführung des Staatsmonopols gestellt hat, erfüllt würden, immer noch ein europarechtswidriger Zustand herrschen würde. Die gegenwärtige Rechtslage verstößt, wie bereits ausgeführt, gegen die Niederlassungsfreiheit Artikel 43 EGV und gegen die Dienstleistungsfreiheit Artikel 49 EGV.

…:Es ist einheitliche Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass auf Grund der in Artikel 23 GG angeordneten Übertragung von Hoheitsrechten das Gemeinschaftsrecht einen so genannten Anwendungsvorrang genießt…

Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts fordert, dass nationales Recht, das gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, ohne Weiteres außer Acht gelassen wird.

Weiterhin verstoße das Sportwettengesetz NRW gegen die so genannte Lindmann-Entscheidung des europäischen Gerichtshofs. Darin wurde entschieden, dass ein Mitgliedstaat dann berechtigt ist, Eingriffe in die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit vorzunehmen, wenn diese Eingriffe durch tatsächliche Untersuchungen der Verhältnismäßigkeit begleitet worden sind. Dieser Untersuchungspflicht sind bislang die Landesgesetzgeber weder bei der Schaffung der Sportwettengesetze noch hinsichtlich des Staatslotteriegesetzes nachgekommen. Insofern dürften bereits aus diesem Grunde alle Landessportwettgesetze, Landeslotteriegesetze und der Landeslotteriestaatsvertrag gegen das EG-Recht verstoßen, und ihre Anwendung während einer Übergangsfrist ist deshalb rechtlich äußerst problematisch.

Weiterhin stellt das Verwaltungsgericht Minden fest, dass durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht vom 28.03.06 die verfassungsrechtlich erforderliche Bestimmtheit des § 284 StGB entfallen ist. Ein Strafgesetz muss inhaltlich so konkret gefasst werden, dass es den Rechtsunterworfenen als zuverlässig Richtschnur ihres Handelns dienen kann.
Gleiches gilt für die Regelung der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Strafbestimmungen.

Die notwendige Bestimmtheit ist nicht mehr gegeben, wenn die Anwendungen eines wie hier verwaltungsakzessorischen Straftatbestandes davon abhängt, ob überhaupt und gegebenenfalls wie ein Dritter (Oddset) auf dessen Verhalten weder die Staatsanwaltschaft noch die Gericht oder gar der private Veranstalter oder Vermittler einer Sportwette Einfluss haben, Werbung betreiben oder nicht. Würde heute gegen einen privaten Anbieter einer Sportwette wegen unerlaubter Veranstaltung eines Glücksspiels ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, so hätte bereits die Staatsanwaltschaft, spätestens aber die Gerichte Erhebung darüber anzustellen, wie die Werbung des staatlichen Sportwettveranstalters gestaltet ist. Hieraus ergebe sich die nicht hinnehmbare Konsequenz, dass den Strafverfolgungsbehörden die Aufgabe zu fiele, die Tätigkeit des staatlichen Sportwettveranstalters daraufhin zu überprüfen, ob sie den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts genügt, oder ob sie daher geeignet ist, die Weitergeltung des bisherigen Rechts zu rechtfertigen, und zuletzt, ob im Einzelnen ein verfolgbarer Verstoß gegen § 284 StGB vorliegt. Unter solchen Voraussetzungen dürfte es dem verwaltungsrechtsakzessorischen Straftatbestand an der Bestimmtheit, die zu seiner verfassungsrechtlichen Rechtfertigung unabdingbar ist, fehlen.

Im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht, das eine Übergangsfrist nicht kennt, ist jedenfalls festzustellen, dass sich die Frage einer Verwirklichung des Straftatbestandes nach § 284 StGB erst dann stellen kann, wenn die Zulassung einer Veranstaltung von Sportwetten durch private Anbieter und die Vermittlung von derartigen Sportwetten im Einklang mit den dargestellten Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts geregelt wurde.

Dieser Beschluss zeigt mit erfreulicher Klarheit, dass auch und gerade nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.06 die grenzüberschreitende Sportwettvermittlung auch weiterhin zulässig ist.

Positiv zu bewerten sind vor allem die Aussagen des Gerichts zu § 284 StGB. Es war an der Zeit, dass ein Gericht mit klaren Worten ausspricht, dass die grenzüberschreitende Sportwettvermittlung an ein innerhalb der EU staatlich konzessionierten Buchmacher nicht den Straftatbestand des § 284 StGB erfüllt.

Dieser Beschluss reiht sich ein in die immer länger werdende Liste der Entscheidungen, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.06 richtig dahingehend auslegen, dass auf Grund der vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Verfassungs- und Europarechtswidrigkeit die grenzüberschreitende Sportwettvermittlung auch weiterhin zulässig ist. Nicht von ungefähr hat auch die Antragstellerin im Verfassungsbeschwerdeverfahren 1 BvR 1054/01 die Verfassungsbeschwerde gewonnen.

Der vollständige Text des Gerichtsbeschluss kann auf der Seite des Verbandes Europäischer Wettunternehmer www.vewu.com abgerufen werden.