Glücksspielstaatsvertrag: Nord-SPD will vorbildliches Kieler Modell opfern

Stegner ignoriert Empfehlung der Monopolkommission, des TÜV und der PiratenPartei beim Thema Online-Poker

Kiel/München, August 2012 – Geht es nach dem Willen der schleswig-holsteinischen SPD-Landtagsfraktion, wird das seit 2011 im nördlichsten Bundesland geltende Glücksspielgesetz eher heute als morgen rückgängig gemacht. Das Land solle dem Glücksspielstaatsvertrag der übrigen Bundesländer beitreten, so die Prämisse des sozialdemokratischen Fraktionschefs Ralf Stegner. Das Manko: Während das Kieler Gesetz, noch zu Zeiten der CDU-FDP-Landesregierung auf den Weg gebracht, europarechtskonform und wettbewerbsfähig ist, fehlt dem Glücksspieländerungsstaatsvertrag der übrigen 15 Länder genau dieser Nachweis, und das mit der Folge, dass die Aktivitäten der Sportwettenanbieter außerhalb Schleswig-Holsteins bis heute keine rechtssichere Basis haben.

Absurdistan lässt wieder einmal grüßen: Während Schleswig-Holstein über eines der modernsten Glücksspielgesetze Europas verfügt, entsprechende Lizenzen an Anbieter vergeben hat, die ihrerseits Partnerschaften mit Sportvereinen und Sportstätten begründet haben, und überdies bereits Steuereinnahmen generieren konnte, soll dies zu Gunsten eines von der EU-Kommission bereits wiederholt in Frage gestellten Gesetzes auf Eis gelegt werden, das bezeichnenderweise die Realitäten des Spielmarktes und der Spielgewohnheiten durch seine Ignoranz von Online-Poker und Online-Casino ausblendet. Ein Beispiel für die unsachliche Auseinandersetzung: SPD-Frontmann Ralf Stegner hält den Bereich Online-Poker aus Geldwäschegesichtpunkten pauschal für nicht regulierbar und befürwortet ein Internetpokerverbot. Allerdings: Sowohl die TÜV TRUST IT (vgl. FreieWelt.net) als auch die die die Bundesregierung beratende Monopolkommission mahnen dringend zur Zulassung von Online-Poker und sind damit auf der Linie aller großen EU-Mitgliedsstaaten, die Internetpoker zulassen.

Zurück zum neuen Glücksspielstaatsvertrag: Dies sei ein Gesetz, so der zuständige Berichterstatter des EU-Parlaments, Jürgen Creutzmann (FDP) , das nach wie vor Grundfreiheiten im europäischen Binnenmarkt verletze und eine verdeckte Fortsetzung des deutschen Glücksspielmonopols bedeute. Zwar werde der Sportwettenmarkt teilweise für private Anbieter geöffnet, allerdings nur unter strengen Auflagen, die staatliche Anbieter auf unangemessene Art und Weise bevorzugen. So werde laut Creutzmann die große Chance verpasst, den blühenden Markt illegaler Glücksspiele im Internet zu unterbinden, indem endlich die Rahmenbedingungen für ein attraktives Angebot lizenzierter privater Betreiber geschaffen werden. Schleswig-Holstein habe gezeigt wie es geht und als bisher einziges Bundesland ein europarechtlich einwandfreies Glücksspielgesetz eingeführt.

Schlechtes Zeugnis für Ländermodell – Regulierungsversagen beim Thema Online-Poker

Ob nun beispielsweise diejenigen Sportwettenanbieter, die mit Beginn des ersten Bundesliga-Spieltages in unterschiedlichen Stadien und im Vereinsumfeld werben, überhaupt eine von 20 zu vergebenden Lizenzen nach dem neuen Gesetz ergattern, darauf darf gewettet werden. Bestenfalls – für die Anbieter – werden sie stillschweigend geduldet, im schlechtesten Fall schreitet eine örtliche Ordnungsbehörde ein. Das hätte mancher Experte auch am Hamburger Rothenbaum erwartet, wo Sportwettenabieter Bet-at-Home mit schleswig-holsteinischer, aber ohne hanseatische Lizenz als namensgebender Sponsor des renommierten ATP-Tennisturniers agiert. Vom Veranstalter, der Hamburg sports & entertainment GmbH, gibt es nach Angaben des Deutschen Tennis-Bundes zu dieser Thematik keine Stellungnahme. Pikant: Als Tommy Haas Ende Juli im ATP-Finale der Bet-at-Home-Open verlor, war der Glücksspielstaatsvertrag bereits samt Online-Glücksspielverbot in Kraft getreten. Der rot-grüne Hamburger Senat hat offenbar die schleswig-holsteinische Lizenz des österreichischen Wettanbieters anerkannt.

Nicht überraschend kommen Professor Friedrich Schneider und Martin Maurhart von der Universität Linz in Ihrer Stellungnahme für die Monopolkommission zu dem Ergebnis, dass der Glücksspielstaatsvertrag der 15 Länder „europa-rechtliche Widersprüche ausgelöst (hat) hinsichtlich der Prinzipien der Europäischen Union; dies dürfte nach der jüngsten Stellungnahme der EU-Kommission (vom 20.03.2012) noch nicht vollständig bereinigt sein.“ Demgegenüber sehen die Wissenschaftler im Modell Schleswig-Holsteins eine „liberalere und international wettbewerbsfähigere Ausgestaltung (Stichwort Besteuerung) seiner Regulierung von Glücksspiel und Wetten, als dies die übrigen 15 deutschen Bundesländer über einen neuen Glücksspielstaatsvertrag (1. GlüÄndStV 2012) vorsehen.“ Auch in der so jungen wie erfolgreichen Piratenpartei mehren sich aktuell die Stimmen, die sich für die Regulierung von Internetpoker à la Schleswig-Holstein einsetzen (vgl. Wiki der PiratenPartei Deutschland)

Interessenkollision ist unübersehbar

Dass bei der europaweiten Ausschreibung der 20 Lizenzen, deren Zahl bis heute nicht begründet ist, nun auch noch eine Kölner Anwaltskanzlei durch das federführende hessische Innenministerium beauftragt wurde, die seit Jahren für die Gesellschaften des Deutschen Toto- und Lottoblocks arbeitet, treibt der Branche unterdessen die Zornesfalten auf die Stirn. Denn damit werden Bewerber quasi gezwungen, Betriebsinterna einer Anwaltskanzlei zur Kenntnis zu geben, die seit Jahren im Auftrag staatlicher Sportwettenanbieter gegen private Anbieter vorgeht. Die Kanzlei verteidigt „verbittert das Monopol und führt für einzelne Gesellschaften des Lottoblocks noch heute gerichtlich anhängige Verfahren gegen private Sportwettenunternehmen, die potentielle Bewerber für eine Konzession sind“, kommentiert Rechtsanwalt Markus Maul, Präsident des Verbandes Europäischer Wettunternehmer VEWU (VEWU Pressemeldung). Er warnt vor der Gefahr einer Interessenkollision und bewertet die vergleichsweise kurze Einreichungsfrist für die Lizenzbewerbungen bis zum 4. September als äußerst knapp – für ihn „kein Zulassungs-, sondern ein Verhinderungsverfahren“

CDU: Abgeordnete dürfen sich nicht wegducken

In Kiel hat die CDU-Landtagsfraktion vor dem Hintergrund des Ausschreibungsverfahrens unter Beteiligung der Anwaltskanzlei aus Köln nach den Worten ihres Parlamentarischen Geschäftsführers Hans-Jörn Arp Entschließungsanträge für die Landtagssitzung, in der über die Aufhebung des Glücksspielgesetzes sowie über den Beitritt zum Glücksspielstaatsvertrag der übrigen Länder beraten werden soll, eingebracht, mit denen der Landtag zum Einen die Regierung auffordern soll, das geltende und von Brüssel goutierte Glücksspielgesetz an der Förde so lange weiter umzusetzen, bis das EU-Notifizierungsverfahren für den neuen Staatsvertrag abgeschlossen ist (vgl. Landtagsdrucksache 18/108). Arp appelliert dabei insbesondere an Grüne und Südschleswigschen Wählerverband (SSW) auf Seiten der Regierungsfraktionen, die zuletzt „ein rechtssicheres Verfahren für den Beitritt Schleswig-Holsteins zum Glücksspielsstaatsvertrag der anderen 15 Bundesländer gefordert“ hatten. Während Regierungsvertreter sowie Grüne und SSW hier auch mit Blick auf mögliche Schadensersatzforderungen auf sorgfältige Beratungen pochen, tendiert der Stegner-Flügel der SPD zu Schnellschüssen und ignoriert die Tatsache, dass bereits zahlreiche Landeslizenzen mit einer Gültigkeit von sechs Jahren an Sportwettenanbieter vergeben wurden und rund 50 offene – zum Teil entscheidungsreife – Wett-, Casino- und Pokeranträge vorliegen.

Zweitens wird die Landesregierung aufgefordert, „sicherzustellen, dass als Kontaktstelle des öffentlichen Auftraggebers zur Erteilung von Konzessionen keine Dritten beauftragt werden dürfen, die bereits als Berater und Vertreter des deutschen Lotto- und Totoblocks tätig waren oder sind“, so der Antrag gemäß Landtagsdrucksache 18/107. Damit will die CDU auch vermeiden, dass die Landesregierung sich in Verfahrensfragen hinter dem federführenden hessischen Ministerium versteckt: Während die Landesregierung erklärt hatte, dass „Fragen einer möglichen Interessenkollision (…) in die alleinige Verantwortung des hessischen Innenministeriums (fallen)“, verweist die Union auf den zur Abstimmung stehenden Glücksspielstaatsvertrag, wonach Hessen für alle Bundesländer die Konzessionsverfahren und Aufsicht für Sportwettenanbieter durchführen solle. Geschieht dies nun unter Inkaufnahme einer erkennbaren Interessenkollision mit Hilfe einer Anwaltskanzlei, die die Fahne der staatlichen Anbieter hochhält, so Arps Erwartung, werde spätestens der Europäische Gerichtshof diesem Verfahren Einhalt gebieten. „Die Interessenkollision der Anwaltskanzlei ist genau so offensichtlich, als wenn man Herrn Dr. Stegner den Vorsitz über einen Schlichtungsausschuss zwischen ihm selbst und Wolfgang Kubicki übertragen würde. Trotzdem wollen SPD, Grüne und SSW dieses Verfahren für Schleswig-Holstein übernehmen. Wenn die Protagonisten der neuen Landesregierung jetzt meinen, sich mit Polemik aus der Verantwortung stehlen zu können, dann wird ihnen spätestens der Europäische Gerichtshof einmal mehr einen Riegel vorschieben“, erklärte Arp in Kiel.

Die Volksvertreter an der Förde können sich nach Arps Überzeugung damit nicht hinter den Fehlern anderer wegducken: „Jeder Abgeordnete des Schleswig-Holsteinischen Landtags wird mit einer Zustimmung zum Staatsvertrag auch seine Zustimmung zum durch das Land Hessen gewählten Verfahren geben.“