Schleswig-Holstein hält Kurs: Kieler Glücksspielgesetz ist europarechtskonform

– Bundesfinanzministerium stellt E 15-Abgabensystem in Frage – Glücksspielstaatsvertrag gefährdet deutsche Pferdezucht

Kiel/München – SPD, Grüne und der Südschleswigsche Wählerverband SSW, die so genannte Dänenampel, haben im Kieler Landtag einen erneuten Versuch unternommen, das seit Jahresbeginn neue Glücksspielgesetz Schleswig-Holsteins aufzuheben und dem umstrittenen neuen Glücksspielstaatsvertrag der übrigen 15 Bundesländer (E 15) beizutreten. Das Ergebnis: Die CDU/FDP-Mehrheit an der Förde machte erneut deutlich, dass der Nordstaat derzeit das einzige Bundesland mit einem europarechtskonformen und wettbewerbsfähigen Glücksspielgesetz ist.

Einmal mehr versuchte SPD-Spitzenmann Ralf Stegner, den Mehrheitsfraktionen von Union und FDP Lobbyismus vorzuwerfen. Der Vorschlag der 15 Bundesländer würde derzeit in den Landtagen ratifiziert, Schleswig-Holstein dagegen befinde sich weiter auf einer „Geisterfahrt“. Das beschlossene Gesetz und die abzusehende Lizenzvergabe an Glücksspielanbieter werde Schleswig-Holstein schaden. Mit hellseherischer Gewissheit prognostiziert Stegner seit Monaten die Rücknahme des Gesetzes nach der bevorstehenden Landtagswahl, sofern die SPD hier Regierungsverantwortung übernehme. Bereits vor Wochen hatte er in übereinstimmend uneinsichtiger Lesart mit dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD) die Brüsseler Stellungnahme zum Vertragsentwurf so interpretiert, dass die EU „keine Bedenken mehr“ habe. Die EU-Kommission habe „den Weg freigemacht, den Glücksspielstaatsvertrag neu zu ordnen“, so Stegner laut Landesblog.de http://landesblog.de/2012/03/glucksspielstaatsvertrag-er-wortlaut-des-schreibens-der-eu-kommission

EU-Kommission: E 15 soll Belege bringen

Nicht neu, nicht stichhaltig, schon gar nicht wissenschaftlich basiert und derzeit auch ohne Auswirkungen auf das weitere Verfahren: So kommentierten CDU und FDP nicht nur Stegners Einlassungen. Innenminister Klaus Schlie (CDU) machte auch unmissverständlich deutlich, dass der Landtagswahltermin keine Auswirkungen auf die Lizenzvergabe an die Glücksspielanbieter habe: „Wenn Lizenzen erteilt werden können beziehungsweise müssen, dann werde ich sie erteilen. Das ist meine Pflicht“, so der Innenminister im Landtag http://www.landtag.ltsh.de/plenumonline/april2012/texte/19_23_gluecksspielgesetz.htm Der E 15-Entwurf, so der Stellvertretende CDU-Fraktionschef in Schleswig-Holstein, Hans-Jörn Arp, sei von der Europäischen Kommission mit seitenlanger Kritik im Zuge des Notifizierungsverfahrens quittiert worden. Wesentliche Fragen stellt Brüssel dabei zur Begründung der Beschränkung auf 20 Lizenzen sowie zur Nicht-Zulassung von Online-Poker und Online-Casino-Angeboten. Allerdings: ,,Die Regierungskoalition hält die Tür für ein notifiziertes, europarechtskonformes Glücksspielgesetz von den anderen 15 Bundesländern offen“, so Arp. Und FDP-Fraktionsvorsitzender Wolfgang Kubicki erläuterte: „Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass ein Mitgliedsstaat alle Umstände darlegen muss, weshalb und wie er eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs in der EU durch eine nationale Maßnahme begründen möchte. Denn nur dann ist eine Einschätzung möglich, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen tatsächlich dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Dieser Forderung sind die 15 Bundesländer nicht nachgekommen. Die Kommission kritisiert in ihrer Mitteilung mehrfach die fehlenden wissenschaftlichen Erhebungen, welche die Maßnahmen aus dem Glücksspielstaatsvertrag rechtfertigen könnten.“

Beide wiesen zudem darauf hin, dass der Glücksspielstaatsvertrag nun auch unüberbrückbare beihilferechtliche Schwierigkeiten bekommen werde: In einem Brief an den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages weist laut Kubicki das Bundesfinanzministerium (BMF) darauf hin, „dass die vorgeschlagene Absenkung des Steuersatzes im Rennwett- und Lotteriegesetz europarechtswidrig ist. Die seit 1922 geltende Rückerstattung des Aufkommens aus der Besteuerung von Pferdewetten, mit denen die Pferdezucht finanziert wird, stellt eine Beihilfe dar“, so Kubicki. „Wenn nun durch den Glücksspielstaatsvertrag eine materiell-rechtliche Änderung des Steuergesetzes erfolgt, wird eine Notifizierung durch die EU-Kommission notwendig. Aufgrund der beihilferechtlichen Problematik bei Pferdewetten sowie der vorgesehenen unterschiedlichen Besteuerung von Sport- und Pferdewetten, die objektiv nicht begründbar ist, würde die gewünschten Genehmigung der Beihilfe seitens der EU-Kommission ausbleiben.“ Ein Horrorszenario für die Züchter und Zuchtverbände, dass diesen nun angesichts der laufenden Ratifizierung des E 15-Vertrages drohen könnte.

Treiben die 15 Bundesländer die deutsche Pferdezucht in den Ruin?

Rechtsexperten stützen die Ansicht der Kieler Regierungsfraktionen, wonach der Glückspielstaatsvertrag am Rennwett- und Lotteriegesetz scheitern werde. „Bekanntlich erfolgt zur Finanzierung der Pferdezucht eine Rückerstattung des Aufkommens aus der Besteuerung von Pferdewetten im Umfang von bis zu 96 Prozent an die Rennvereine. Da diese Steuerrückerstattung nur Rennvereinen, nicht aber Buchmachern zu Gute kommt, ist diese Verfahrensweise grundsätzlich als europarechtswidrige selektive Beihilfe einzustufen. Da sie nach überzeugender Einschatzung des BMF auch nicht genehmigungsfähig sein dürfte, stellt sie eigentlich schon auf Basis der geltenden Rechtslage eine Verletzung europäischen Rechts dar“, erläutern Rechtsanwalt Henrik Bremer von der Hamburger WIRTSCHAFTSRAT GmbH und Professor Joachim Englisch von der Universität Münster in einem Beitrag für die Time Law News http://www.timelaw.de/cms/upload/pdf/TLN_2_2012_de.pdf der Münchener Kanzlei Hambach & Hambach. Diese bislang von der EU nicht geahndete und möglicherweise sogar unbekannte Beihilfe könne Brüssel jedoch im Zuge der Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrages nicht verborgen bleiben, die Kommission, so Bremer und Englisch, „könnte die Abschaffung dieser staatlichen Zuwendungen an die Rennvereine für die Zukunft verlangen. Den Anlass für ein solches Verfahren könnte nun aber gerade die mit dem E 15 angestrebte materiellrechtliche Änderung des Besteuerungsregimes liefern, weil sie sich auf das Beihilfevolumen auswirkt und damit nach überzeugender Ansicht des BMF der Kommission notifiziert werden muss.“

Verfassungs- und Europarecht fordern gleiche Besteuerung von Sport- und Pferdewetten

Unter anderem führen die Autoren hierfür die Absenkung des Steuersatzes von 16,66 Prozent auf 5 Prozent an sowie eine entsprechende Anpassung der Steuerrückerstattung von maximal 96 Prozent. „Die Auswirkungen dieser Änderungen auf das Steueraufkommen insgesamt und damit auch auf die Höhe der Beihilfe für die Rennvereine sind unklar, denn der sinkende Steuersatz könnte durch eine Zunahme legaler Wettangebote überkompensiert werden.“ Auch die Möglichkeit, auf Pferdewetten im Ausland zu wetten, dürfte eine Erhöhung des Steueraufkommens und damit des Beihilfevolumens nach sich ziehen. Weil sich hierdurch die seit 1922 unverändert bestehende Staatsfinanzierung der Rennvereine in einem Maß verändere, das „zur Annahme einer ‚neuen’ Beihilfe führen muss. Dementsprechend müsste ein förmliches Notifikationsverfahren eingeleitet werden mit der Gefahr, dass bei der Kommission ‚schlafende Hunde geweckt’ werden.“ Zudem könnte sich ein solches Verfahren über Jahre hinziehen, was eine Anpassung des Steuersatzes in 2012 unmöglich mache. Bremer und Englisch gehen aber noch weiter und führen aus, dass es keinen inhaltlichen Grund gebe, „warum Pferdewetten anders – höher – als sonstige Sportwetten besteuert werden sollten. Das wäre nicht nur gleichheitsrechtlich sehr bedenklich, sondern könnte für sich genommen ebenfalls einen (weiteren) Verstoß gegen das Beihilfeverbot der Europäischen Vertrage darstellen.“ Verfassungs- und Europarecht erlaubten daher nur die Möglichkeit einer gleichmäßigen Besteuerung von 16,66 Prozent. Und genau diese Abgabenbelastung führt nach Ansicht der Juristen bei Sportwetten dazu, „dass ein wettbewerbsfähiges Angebot nicht möglich ist. Vielmehr hat eine derartige Belastung erdrosselnde Wirkung.“ Dem Gesetzgeber – also dem E 15-Lager – bleiben in diesem Fall zwei Alternativen, nämlich entweder die ersatzlose Beihilfestreichung aus dem Gesetz für die Pferdezucht, die eine ganze Branche in den Ruin treiben könnte, oder aber die bestehenden Regelungen würden inhaltlich nicht angetastet und der Gesetzgeber entwickelt ein mit europäischem Recht zu vereinbarendes System.

E 15: Fülle von Rechtsverstößen gegen Verfassungs- bzw. Europarecht

Das Resümee der renommierten Experten dürfte aus Sicht der 15 Bundesländer niederschmetternd sein, stellt es doch erneut die Europarechtswidrigkeit des aktuellen Vertragsentwurfs in den Fokus: „Das Bundesfinanzministerium hält die Anpassung, die der E 15 vorsieht, für europarechtswidrig. Damit ist das Abgabensystem des E 15 gescheitert. Eine Abhilfe kann nur auf Kosten des Zusammenbruchs der Finanzierung der Pferdezucht erreicht werden. Es erweist sich erneut, dass der E 15 aus einer Fülle von Rechtsverstößen gegen Verfassungs- bzw. Europarecht besteht, was nach den allseitigen deutlichen Hinweisen auf diesen Zustand eigentlich dazu beitragen sollte, dass die Bundesländer eine Reglung anstreben sollten, die im Einklang mit höherrangigem Recht steht. Modellhaft könnte insoweit die Regelung Schleswig-Holsteins sein, welche zudem den Interessen der Länder aber auch der Anbieter in ausgewogenem Maße Rechnung trägt.“ (Andreas Schultheis)