Glücksspielsucht bekämpfen (Update)

Geldspielautomaten aus den Gaststätten / Soziale Kosten genau benennen

Berlin, 21.3.2012. Die Mehrheit der Experten sagte am Mittwoch bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages: Spielautomaten in Spielhallen und Gaststätten müssen stärker kontrolliert werden. Einige Sachverständige würden nach vorliegender Faktenlage am liebsten die Geldgewinnspielautomaten aus den Gaststätten ganz verbannen.

Der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages (DBT) beriet den SPD-Antrag (17/6338) dem zu Folge gehen die Sachverständigen von rund 500.000 pathologischen Glücksspielern und rund 800.000 problematischen Spielern in Deutschland aus. Die Sozialdemokraten bezeichnen Geldspielautomaten unter Berufung auf das Projekt „Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie“ (PAGE) als „Suchtfaktor Nummer 1“.

Meike Lukat, Kriminalhauptkommissarin aus Düsseldorf, bemängelte die Zulassung der Geräte durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt. Um mutmaßliche Steuerhinterziehung und Geldwäsche durch die Betreiber der Automaten zu unterbinden sei es notwendig, Gewinne und Verluste der Geräte genau zu kontrollieren.

Der Vorsitzende des Verbandes der Deutschen Automatenindustrie e. V. (VDAI), Paul Gauselmann, sagte, die Branche engagiere sich bereits etwas für den Jugendschutz. „Wir leiden als Branche unter zehn Prozent schwarze Schafe“. Auf Nachfrage konnte Gauselmann nicht sagen, wie seine Branche gegen die schwarzen Schafe in den eigenen Reihen vorgehen könne.

Beim Streitpunkt Sperrdatenbank und Sperrverfahren gehen die Meinungen etwas auseinander. Tilman Becker, Professor an der Universität Hohenheim und Professor Adams, Universität Hamburg, sprachen sich für eine Sperrdatenbank aus, die sowohl für jeden Spielort gelten müsse, also, sowohl in Spielbanken/Kasinos als auch in Spielhallen und Gaststätten.

Adams argumentierte noch stärker zur Bekämpfung der Spielsucht. Er könnte sich vorstellen, Geldgewinnspielgeräte (GGSG) ausschließlich in den stark kontrollierten Kasinos aufzustellen. Ilona Füchtenschnieder von der Landesfachstelle Glücksspielsucht Nordrhein-Westfalen unterstützte diesen Vorschlag bis die Geräte technisch-physikalisch so hergestellt werden können, dass Missbrauch verhindert werde. Füchtenschnieder: „Gastronomische Betriebe sind aus meiner Erfahrung heraus überfordert mit der Kontrolle. Sie haben zu wenig Personal dafür, außerdem sind die Geräte häufig so aufgestellt, dass sie nicht einsehbar sind.“

Ein Großteil der Spielsüchtigen verliere ihr Geld an diesen Geldgewinnspielgeräten, sagte Tilman Becker, Professor an der Universität Hohenheim, Forschungsstelle Glücksspiel. Becker schlug einen Ausschuss für eine Spieler-Sperrdatei für Geldspielautomaten vor. Süchtige könnten sich freiwillig eintragen lassen und würden dann am Spiel gehindert. Es müsse aber möglich sein, sich begrenzt sperren zu lassen. Becker „denke an eine Mindestsperre von einem Jahr, und jeder Spieler kann darüber hinaus wählen, wie lange er sich sperren lässt.“ Darüber hinaus müsse jeder Spieler eine persönliche Identifikationskarte für Automaten erhalten.

Letzteren Vorschlag aus dem Bundeswirtschaftsministerium halten einige Experten für ungeeignet, weil diese vernetzt oder als Kundenkarten missverstanden werden könnten. Füchtenschnieder nannte diese Idee für reine „Zeitschinderei“.

Im Hintergrund des Spielerschutzes stehen die sozialen Kosten, die möglichst verringert werden sollen. Laut Online-Medienberichten sagte der Vorstand des Fachbeirats Glücksspielsucht Jobst Böning am Tage der Anhörung, die sozialen Kosten des Glücksspiels lägen bei 40 Milliarden Euro jährlich.

Ausschusszuhörer Martin Reeckmann, Vorstandssprecher des Bundesverbandes privater Spielbanken (BupriS) korrigierte die Zahlen am Rande der Anhörung: „Es sind nur 300 bis 600 Millionen Euro jährlich“.

Die Spielsucht ist nicht die teuerste Suchterkrankung, sondern, und das gilt nicht nur in Deutschland, „mit weitem Abstand die Abhängigkeit von Alkohol oder Nikotin“.

Bislang existiert in Deutschland nur eine Studie zu den sozialen Kosten des Glücksspiels in Deutschland, die den Standards der Weltgesundheitsbehörde (WHO) entspricht. Sie wurde Anfang 2011 auf Anregung von BupriS von der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim (http://gluecksspiel.uni-hohenheim.de) veröffentlicht. Danach betragen die sozialen Kosten des Glücksspiels in Deutschland für das Jahr 2008 insgesamt 326 Millionen Euro. In den Kosten sind auch die Aufwendungen für den Spielerschutz und für die Glücksspielsuchtprävention enthalten.
Zum Vergleich: Die sozialen Kosten, die der Gesellschaft durch den Tabak- und Alkoholkonsum entstehen, liegen bei 20 bis 50 Milliarden Euro beim Tabakkonsum und bei 20 bis 30 Milliarden Euro beim Alkoholkonsum – und sind damit etwa zweihundertmal größer.

Eine Kurzinformation zu den sozialen Kosten finden Sie hier.

Adams kritisierte zu Ende der Anhörung, die mangelnde Rotation bei den Beamtenposten beispielsweise im Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), in dem die bundesweite Gewerbeaufsicht angesiedelt ist und dazu gehört die Automatenwirtschaftsbranche. Mit seiner Kritik steht Adams nicht alleine: Ende des Jahres 2011 nahm das Team von Lobby Control die Spendenpraktiken der Automatenwirtschaft unter die Lupe und stellte fest, dass Paul Gauselmann systematisch über ein Jahrzehnt Spenden von unter zehn Tausend Euro an Abgeordnete zahlte und einen guten Draht zum Leiter der Aufsichtsbehörde im BMWi hegt.

Lösungsideen zur Glücksspielsuchtbekämpfung im Internet sind rar. Kriminalpolizistin Meike Lukat sieht „keine Möglichkeit der Strafverfolgung im Internet beim Glückspiel„. Einzig die „Anonymität im Netz“ zu verhindern, könne da Abhilfe schaffen, sagte der Wissenschaftler Adams. (LÄ 30.3.2012, 15.50 Uhr)

Webseite des Deutschen Bundestags und das Video der Öffentlichen Sitzung erreichen Sie über diesen Link.

Gegendarstellung zum Artikel vom 28.3.2012, Anhörung des Gesundheitsausschusses vom 21.3.2012 in Berlin:
Professor Tilman Becker hatte recht: Sein Name war falsch geschrieben und er sagte nicht, dass Spielautomaten nur in den echten Kasinos, den Spielbanken, aufgestellt werden sollten.