Panorama

Spielsucht in Italien Wenn der Staat beim Glücksspiel mitzockt

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26 Prozent der italienischen Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren spielt.

26 Prozent der italienischen Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren spielt.

(Foto: picture alliance / CHROMORANGE)

Unter den Europäern geben die Italiener am meisten für Glücksspiele aus. Im Vergleich zum Durchschnittseinkommen sogar weltweit. Ein Dekret soll jetzt Zocker von illegalen Plattformen fernhalten - nicht aber vom Spielen.

Zwei Drittel der Spielsperre von sieben Monaten sind für Nicolò Fagioli, Mittelstürmer von Juventus Turin und der Nationalmannschaft, fast um. Vielleicht darf er sogar an den EURO 2024 Meisterschaften in Deutschland teilnehmen. Die Therapie gegen die Spielsucht macht er aber weiter, versicherte Fagioli vor ein paar Tagen bei einem Treffen mit Oberstufenschülerinnen und -schülern in Condove bei Turin.

Im Oktober 2023 wurde Juve-Spieler Fagioli für sieben Monate gesperrt.

Im Oktober 2023 wurde Juve-Spieler Fagioli für sieben Monate gesperrt.

(Foto: picture alliance / IPA)

Fagioli und sein Kollege Sandro Tonali, der für den FC Newcastle spielt, haben Oktober 2023 Oktober für viel Aufregung gesorgt. Sie wurden wegen Verstrickungen mit illegalen Online-Wettplattformen zu einer Sperre von zwölf Monaten, davon fünf aug Bewährung, und zu Geldstrafen verurteilt. Außerdem wurde ihnen eine Therapie gegen Spielsucht verordnet und mindestens zehn Treffen mit Schülern und Schülerinnen, denen sie ihre Geschichte erzählen und sie vor den Gefahren des Zockens warnen sollen.

Fagioli erzählte, er habe zufällig mit den Onlinewetten begonnen, nachdem ihm ein Kollege eine Plattform gezeigt hatte. "Langeweile und Einsamkeit" hätten ihn hineinrutschen und "steckenbleiben" lassen. Das mag sich wie eine fadenscheinige Ausrede anhören, vor allem, weil sie von jemandem kommt, der mit 23 Jahren als Hoffnungsträger gilt und sieben Millionen Euro pro Fußballsaison verdient. Tatsache ist aber, dass es die verschiedensten Auslöser für eine Spielsucht gibt. Die einen lieben den Adrenalinkick, die anderen hoffen auf die Göttin Fortuna, die ihnen mit einem Schlag alle Sorgen nimmt.

"Bei dieser Abhängigkeit gibt es auch keine gesellschaftlichen Unterschiede", erklärt Silvia Pichini ntv.de. Sie ist Leiterin des Nationalen Zentrums für Abhängigkeit und Doping, das zu Italiens Oberstem Gesundheitsinstitut gehört. "Wenn es einen Unterschied gibt, dann ist es der, dass Männer mehr zocken als Frauen. Wobei auch dieser Unterschied immer geringer wird."

Glücksspiel und Mafia gehen Hand in Hand

Das Thema Glücksspiele - vor allem legale Online-Glücksspiele - ist in Italien aktuell, weil die Regierung am 11. März ein Dekret verabschiedet hat. Mit ihm soll der Bereich der Online-Glücksspiele neu geregelt werden, weil bei ihnen inzwischen mehr ausgegeben wird als bei Slot-Maschinen und in Spielsälen. Das Dekret, über das die zwei Parlamentskammern noch abstimmen müssen, sieht unter anderem vor, die Spieler konkret vor illegalen Wetten zu warnen, unter anderem, indem für legale Plattformen mit Sprüchen wie "Wette legal" geworben wird. Ein Ansatz, der für jene, die sich mit der Bekämpfung von Abhängigkeiten, zu denen auch die Spielsucht zählt, befassen, vollkommen falsch ist. Noch dazu ist Werbung für Glücksspiele verboten, was dem Dekret zufolge aber nicht mehr gelten sollte.

Doch anstatt Spielanreize zu unterstützen, müsste die italienische Regierung dafür sorgen, dass das Angebot von Glücksspielen sinkt. Italien liegt nämlich vom Spieleinsatz her europaweit an erster Stelle. 2022 wurden dort 136 Milliarden Euro ausgegeben, für 2023 sollen es geschätzte 150 Milliarden Euro gewesen sein. Vergleicht man das Spielvolumen mit dem italienischen Durchschnittsgehalt, dann ist das Land sogar weltweit Nummer eins, wie aus Erhebungen der staatlichen Zoll- und Monopolagentur hervorgeht.

Wenn aber so viel Geld verspielt wird - mit Rubbellosen, die mittlerweile bis zu 20 Euro kosten, mit Sportwettscheinen, Slot-Maschinen, Online-Wetten, Online-Poker, Online-Black-Jack, Gaming -, was sagt das über das Land aus? Dass man dem Glück mehr vertraut als seinen Fähigkeiten und denen der Politik?

"Ja, so kann man es auch interpretieren. Wenn ich die Sache aber aus der Sicht des Staates betrachte, dann stellen diese Spiele eine weitere Steuereinnahmequelle dar, auf die man nicht verzichten will. Dass diese die finanziell Schwächeren stärker trifft, spielt anscheinend keine Rolle", erklärt Roberto Montà, Präsident von Avviso Pubblico. Der Verband wurde 1996 gegründet, setzt sich ausschließlich aus lokalen und regionalen Ämtern zusammen - mittlerweile sind es 600 -, deren Ziel es ist, gemeinsam gegen Korruption und Mafia-Organisationen zu kämpfen. Und Glücksspiel und Mafia gehen Hand in Hand.

Besteuert werden die Glücksspiele unterschiedlich, maximal aber mit neun Prozent, was nicht wirklich abschreckend wirkt und dem Staat auch nicht aus der Geldmisere hilft. Nimmt man die 136 Milliarden Euro, die 2022 verspielt wurden, haben die Staatskassen davon 11,5 Milliarden Euro kassiert.

Drei Prozent Spielsüchtige

Avviso Pubblico beanstandet besonders, dass bei der Debatte über die neuen Regeln neben Lobbyisten nur das Ministerium für Unternehmen und das für Finanzen anwesend waren. Das Ministerium für Gesundheit und Vertreter von Lokalverwaltungen fehlten.

Wer ab und zu ein Rubbellos kauft, an der Neujahrslotterie teilnimmt oder einen Totoschein ausfüllt, leidet deswegen natürlich nicht gleich an Spielsucht. Auch wenn Fachleute davor warnen, dass man leicht hineinschlittern kann. Die letzte Erhebung zum Thema Spielstörung erfolgte 2018, sagte Pichini. Daraus war zu entnehmen, "dass in Italien 26 Prozent der Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren spielt. Weiter hieß es, dass drei Prozent der Erwachsenen und drei Prozent der Minderjährigen spielgefährdet seien." Eine Erhebung nach der Corona-Pandemie wäre sicher sehr interessant, doch dafür fehle das Geld, heißt es.

Bis jetzt war nur vom legalen Glücksspiel die Rede. Was die Einnahmen des illegalen Bereichs mit den gleichen Spielmöglichkeiten betrifft, hieß es im November in einer Meldung der Zoll- und Monopolagentur, dass diese "auf 20 Milliarden Euro im Jahr" geschätzt werden.

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"Das illegale Wettangebot ist nichts Neues", bemerkt Pichini. Beim Fußballtoto gab es einst den 'Picchetto', wie die illegale, von der Mafia organisierte Variante genannt wurde, die höhere Gewinne versprach. Mittlerweile ist die organisierte Kriminalitätsehr am illegalen Onlinespiel interessiert, aber nicht ausschließlich. Das hat zwei Gründe.

Wie die investigative Antimafia Einheit (DIA) hervorhebt, dienen die von Strohmännern geführten legalen Spielhallen in erster Linie der Geldwäsche. "Dann ist da aber auch noch die Rolle des Retters in der Not, wenn der Sozialstaat versagt", fügt Montà hinzu. Mit den Spielhallen schafft die Mafia auch Arbeitsplätze. Außerdem hilft sie bei der Begleichung von Spielschulden, die aber dann um das Vielfache zurückbezahlt werden müssen. Damit ist man dann aber schon im Bereich des Wuchers, ein weiteres für die Mafia sehr lukratives Geschäft - und eine andere Geschichte.

Quelle: ntv.de

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