Interview: Pay-to-Win Features (z.B. Lootboxen) müssen der restriktiven EU-Glücksspielregulierung unterliegen

Das Interview wurde geführt von Robert Hess

  • Spagat zwischen Spielerschutz und Wachstumsförderung in der Videospielbranche
  • Interview mit René Repasi MdEP, Sprecher der Europa-SPD für Binnenmarkt und Verbraucherschutz im Europaparlament

Robert Hess M.A. war in Politik, Verwaltung und Wirtschaftsunternehmen über viele Jahre in leitenden Funktionen tätig. Heute ist er Inhaber eines Beratungsunternehmens und arbeitet als freier Journalist.
Robert Hess M.A. war in Politik, Verwaltung und Wirtschaftsunternehmen über viele Jahre in leitenden Funktionen tätig. Heute ist er Inhaber eines Beratungsunternehmens und arbeitet als freier Journalist.
Hess: Das Europaparlament hat am 18. Januar 2023 mit einer überwältigenden Mehrheit (577 Ja-Stimmen, 56 Nein-Stimmen und 15 Enthaltungen) einen Initiativbericht (PDF) angenommen und die Parlamentspräsidentin beauftragt, diese Entschließung dem Rat und der Kommission zu übermitteln. In der Presseinformation des Parlaments heißt es, dass Parlament hat einen besseren Schutz vor Sucht und manipulativen Praktiken gefordert und gleichzeitig sei für den Videospielesektor mehr Unterstützung notwendig, um das enorme Potential zu nutzen. Ist dieser Spagat nicht zum Scheitern verurteilt?

Repasi: Nein, auf gar keinen Fall. Seit Jahren stellen wir fest, dass der Markt für Online-Videospiele wächst und wächst. 2020 umfasste er bereits ein Marktvolumen von 23,3 Milliarden Euro. Die Branche ist damit ein Antreiber für Innovation und die digitale Transformation der EU insgesamt. Die Videospielbranche ist die am schnellsten wachsende Kultur- und Kreativbranche. Für den Arbeitsmarkt wichtig ist auch der Hinweis, dass sich die europäische Videospielbranche hauptsächlich aus kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und Start-up-Unternehmen zusammensetzt.

Hess: Das ist ja eine beachtenswerte Erfolgsgeschichte. Aber neben dem Licht gibt es doch wohl auch Schatten oder zwei Seiten einer Medaille. Warum die große Bedeutung für den Punkt „Spielerschutz“ im Initiativbericht?

Repasi: Ja, wie so oft im Leben, gibt es neben Licht auch Schatten. Wir wissen, dass einige Video-Onlinespiele gravierende Gefahren für die User, insbesondere Kinder und Jugendliche, in sich bergen. In unserem Initiativbericht weisen wir darauf hin, dass einige Online-Videospiele In-Game-Käufe unter Verwendung von In-Game-Währungen anbieten, die entweder mit echtem Geld oder im Spiel verdient werden können. Aus der Wissenschaft wissen wir aber, dass solche Systeme nicht ohne Folgen für die Verbraucher, insbesondere Kinder und Jugendliche, bleiben.

Hess: Das heißt konkret?

Repasi: In einer Studie über Lootboxen und ihre Auswirkungen auf Verbraucher, insbesondere auf Minderjährige und kleine Kinder, wird empfohlen Lootboxen unter dem Gesichtspunkt der Verbraucherschutzgesetzgebung zu untersuchen, um schädliche Auswirkungen und ausbeuterische Praktiken von Lootboxen zu verhindern. Wichtig ist dem Parlament dabei, gemeinsame europäische Regeln für Lootboxen zu schaffen.

Hess: Hess: Aber von dieser Gemeinsamkeit sind wir doch aktuell Meilen entfernt.

Repasi: Ja, da haben Sie Recht. In Belgien sind sie z. B. verboten, in den Niederlanden gibt es juristische Auseinandersetzungen. In Deutschland dreht sich die Diskussion wohl in der Quintessenz um den Punkt, sind Lootboxen Glücksspiel. Für mich ist ganz klar: Diese Praktiken müssen der restriktiven EU-Glücksspielregulierung unterliegen! Manipulatives Design muss verboten und sanktioniert werden. Was wir benötigen ist ein einheitliches europäisches Vorgehen.

Hess: Das bedeutet?

Repasi: Ja, es ist nun an der EU-Kommission, die Vorschläge des Parlaments alsbald in konkrete Gesetzgebungsvorschläge umzusetzen! Hess: Zeitschiene?

Repasi: Ob die derzeitige Kommission das Thema vor den Eurowahlen 2024 noch aufgreifen wird, kann ich nicht beurteilen. Aber die dann neue Kommission wird es auf jeden Fall zeitnah aufgreifen. Ungeachtet dessen kann ich den deutschen Regulierern nur empfehlen, sich dieses Themas zeitnah anzunehmen. Das Thema ist auf der politischen Agenda!

Hess: Fazit?

Repasi: Wir brauchen eine innovative Online-Videospielebranche und klare Regeln für Videospiele im Netz mit Spielerschutz insbesondere für Kinder und Minderjährige. Diesen Spagat müssen wir erfolgreich umsetzen.

Über René Repasi

René Repasi ist seit Februar 2022 Mitglied des Europäischen Parlaments für die S&D-Fraktion (SPD) und Professor für Recht an der Erasmus-Universität Rotterdam. Er ist Mitglied des Parlamentsausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) und stellvertretendes Mitglied in den Ausschüssen für Wirtschaft und Währung (ECON) und Recht (JURI) und fungiert als erster stellvertretender Vorsitzender der EU-China-Delegation des Europäischen Parlaments. Er war an der Verabschiedung des Gesetzes über digitale Märkte (DMA) beteiligt und arbeitet derzeit an den Themen Sorgfaltspflicht und Wettbewerbspolitik (ECON). Vor seinem Mandat war er Vollzeitprofessor für Recht an der Erasmus-Universität Rotterdam und Direktor des Erasmus Centre for Economic and Financial Governance (ECEFG). Seine Forschungsschwerpunkte waren das Recht der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, die Regulierung der Finanzmärkte, das Wettbewerbsrecht und verfassungsrechtliche Fragen des EU-Rechts einschließlich der rechtlichen Herausforderungen des "Brexit". Repasi hat an der Universität Heidelberg in Rechtswissenschaften promoviert.