Kommerzieller Welterfolg macht Musik für alle verfügbar

Schloss Benkhausen: Paul Ehrlich Symposium beleuchtet das Wirken des rastlosen Erfinders

Die Nachkommen Paul Ehrlichs beim Symposium: Urenkel Achim Quaas (von links) sowie Urenkelin Karin Gauselmann und Robert Hirsch an einem Ariston.
Die Nachkommen Paul Ehrlichs beim Symposium: Urenkel Achim Quaas (von links) sowie Urenkelin Karin Gauselmann und Robert Hirsch an einem Ariston.
Espelkamp - Seit 55 Jahren sind Karin und Paul Gauselmann verheiratet – und es ist nicht abwegig, bei dieser Ehe von einer schicksalhaften Fügung zu sprechen. Denn nicht nur Unternehmenspatriarch Paul Gauselmann hat eine besondere Beziehung zu Musikboxen, schließlich hatte er 1957 mit 17 Bergmann-Musikboxen den Grundstein für die Gauselmann Gruppe gelegt, auch seine Ehefrau hat einen direkten familiären Bezug zu diesem Thema. Denn ihr Urgroßvater Paul Ehrlich hatte Ende des 19. Jahrhunderts das Ariston erfunden – einen Musikautomaten, der dank seiner Lochplatten die Musikwelt revolutionierte und erstmals den Aufbau einer Musiksammlung ermöglichte, ohne ein Instrument spielen zu müssen. „Wenn man das bedenkt, kann man schon von einem Wink des Schicksals sprechen“, erklärte Sascha Wömpener, Leiter des Deutschen Automatenmuseums. Im Rahmen des Symposiums „Paul Ehrlich und die Anfänge der Leipziger Musikwerke-Industrie“, das vom 26. bis 28. Mai auf Schloss Benkhausen stattfand, hatte er die Ergebnisse seiner Recherchen zu den familiären Verhältnissen Paul Ehrlichs präsentiert.

„Mein Urgroßvater war nicht nur ein bedeutender Erfinder und Unternehmer, sondern auch ein sympathischer und großzügiger Familienmensch“, erzählte Karin Gauselmann. Seinen vier Töchtern hatte er es nie an etwas fehlen lassen, obwohl er als Erfinder und Unternehmer hochgradig beansprucht war. Die private Seite Paul Ehrlichs wurde besonders im Rahmen einer Podiumsdiskussion deutlich, zu der neben Karin Gauselmann auch Urenkel Achim Quaas sowie Robert Hirsch, Sohn der verhinderten Großnichte Monika Hirsch, im Beisein seiner Tochter Sarah Hirsch und ihres Ehemanns Jörg Hirsch erschienen waren. Der Erfolg des Aristons spricht ohnehin für sich: Bis 1902 hatte er bereits rund 460.000 dieser Mini-Drehorgeln und etwa sechs Millionen Lochscheiben weltweit verkauft. „Seine Erfindung war ein kommerzieller Welterfolg“, resümierte Ralf Smolne, Vorsitzender der Gesellschaft für Selbstspielende Musikinstrumente, in seinem Vortrag. Ganz nebenbei hatte Paul Ehrlich damit einen neuen Industriezweig begründet und dafür gesorgt, dass die Anfänge der Musikautomatenindustrie in Leipzig liegen. „Dadurch wurde Musik für alle verfügbar“, so Ralf Smolne. Denn jetzt konnten auch musikalische Laien Lieder darbieten.

Die Teilnehmer des Paul Ehrlich Symposiums bekamen viele interessante Vorträge zu hören.
Die Teilnehmer des Paul Ehrlich Symposiums bekamen viele interessante Vorträge zu hören.

Auf dem Symposium wurde aber auch deutlich, dass Ehrlichs Einfallsreichtum noch viel weiter reichte. Er erfand nicht nur das Ariston, sondern auch die Maschinen, um die benötigten Pappplatten in Serie herzustellen. Er industrialisierte die Produktion und sorgte dafür, dass seine Stanzmaschinen rund 200 Notenblätter gleichzeitig herstellen konnten. „Die Vielfalt seiner Erfindungen ist unglaublich“, betonte Privatdozentin Dr. Birgit Heise, Musikwissenschaftlerin an der Universität Leipzig. „Über 100 Patente gehen auf ihn zurück.“ Heise ist auch die Herausgeberin des Tagungsbandes, das unter dem Titel „Paul Ehrlich und die Anfänge der Leipziger Musikautomaten-Industrie“ zum Symposium erschienen ist. Die Wissenschaftlerin erklärte aber auch, dass genau diese Vielfalt Paul Ehrlichs Abstieg als Unternehmer begründet haben könnte. Denn trotz seines Erfolges konnte er mit den Mitbewerbern nicht dauerhaft Schritt halten. Anstatt seine Erfindung zu optimieren, widmete sich der rastlose Instrumentenbauer lieber neuen Ideen. Als Unternehmer verlor er dadurch den Anschluss. Nachdem sein Stern in Leipzig gesunken war, zog er um 1920 herum nach Minden und versuchte dort erneut sein unternehmerisches Glück. An seinen Welterfolg konnte er aber nicht wieder anknüpfen.

„Ich sehe ihn als guten und erfolgreichen Mann, der die Anpassung seines Unternehmens nicht ganz so bewerkstelligt hat, wie es nötig gewesen wäre“, erklärte Karin Gauselmann. Auch Achim Quaas und Robert Hirsch waren von ihrem Vorfahren beeindruckt: „Er hat immer gekämpft, niemals aufgegeben und ist immer positiv geblieben“, so ihr Eindruck. Gerade diese Haltung könne heute noch vielen als Vorbild dienen.