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Kinofilm "Molly's Game" Sie verdiente mit Poker Millionen – doch dann verließ Molly Bloom das Glück

Molly Bloom verdiente beim Poker Millionen – bis das Glück sie verließ
Molly Bloom, 39, am Pokertisch, der lange Zeit ihr Leben war. Und beinahe ihr Verderben
© Jeff Spicer/Getty Images
Molly Bloom ist klug, schön und furchtlos. Sie dominierte die Pokerszene in den USA. Berühmte Männer lagen ihr zu Füßen. Eine wahre Geschichte, die jetzt in die Kinos kommt.
Von Steffi Kammerer

Weiße Ledersofas, hinter Panoramascheiben die glitzernden Rocky Mountains. Hier, in der Lounge ihres Apartmentgebäudes in Denver, Colorado, empfängt sie Besuch. Zierlich steht sie da, mit diesem großen Lächeln, das sie weit gebracht hat. Im Strickpullover, kaum geschminkt, in der Hand einen Becher Wasser. Molly Bloom, 39 Jahre alt, Ex-Chefin der exklusivsten Pokerrunde der Welt. Wöchentlich lud sie an diskrete Orte, man spielte um Millionen: Topathleten, CEOs, Hedgefonds-Manager, die Schauspieler Leonardo DiCaprio, Tobey Maguire und Ben Affleck. Später – Molly Bloom hatte ihr Geschäft von Beverly Hills nach New York verlegt – kam sie in Kontakt mit russischen Mafiosi. Die schickten einmal jemanden, der ihr einen Revolver in den Mund schob – er drückte nicht ab, richtete ihr Gesicht aber so zu, dass sie zwei Wochen lang das Haus nicht verlassen konnte.

Im April 2013 war Schluss mit allem. 20 FBI-Agenten mit Maschinenpistolen stürmten nachts ihre Wohnung. Molly Bloom war Teil einer Massenfestnahme wegen illegalem Glücksspiel und Geldwäsche: 34 Personen, sie die einzige Frau. All ihre Konten wurden gesperrt. Ihre Mutter belieh ihr Haus, um sie auf Kaution freizubekommen.

Molly Bloom wollte bloß kein Mittelmaß

Den Bergblick der Lounge hat sie in ihrem Apartment nicht, diese Miete kann sie noch nicht bezahlen. "Ich arbeite dran", sagt sie lachend. Aber immerhin, sie hat wieder eigene vier Wände, muss nicht mehr im alten Kinderzimmer bei der Mutter leben. Ihr Schuldenberg – Anwaltskosten und Steuerzahlungen – hat sich dank des Films auf eine Million Dollar reduziert.

Der Film – das ist "Molly's Game", der jetzt auch in Deutschland in die Kinos kommt. In der Kategorie "Bestes adaptiertes Drehbuch" war er für den Oscar nominiert. Er erzählt Molly Blooms wilde Geschichte, die sie selbst vor vier Jahren als Buch veröffentlicht hat. Die Geschichte vom jungen Mädchen aus Colorado, aufgewachsen gegenüber einem Maisfeld.

Molly Bloom wollte ein besonderes Leben, bloß kein Mittelmaß. Das war so, seit sie denken kann. "Aber es hat mich verrückt gemacht. Ich wusste nicht, wie ich dorthinkommen sollte. Ich sah nur, dass es meinen Brüdern gelang." Ihr Bruder Jeremy war Ski-Weltmeister, hat an zwei Olympischen Spielen teilgenommen; Jordan, ihr anderer Bruder, ist Herzchirurg mit Harvard-Abschluss. Alle drei wurden sie vom Vater, einem Psychologie-Professor, auf der Skipiste gedrillt.

Filmszenen aus "Molly's Game": Jessica Chastain spielt die dominante Pokerprinzessin
Filmszenen aus "Molly's Game": Jessica Chastain spielt die dominante Pokerprinzessin
© Intertopics

Im College war auch sie Mitglied der amerikanischen Ski-Nationalmannschaft, eine Verletzung zwang sie jedoch, den Sport aufzugeben. Molly Bloom plante ein Jurastudium –den Platz in Harvard hatte sie schon sicher –, nur wollte sie vorher schnell noch ein Jahr Sonne dazwischenschieben, in Los Angeles. Bei einem Immobilienentwickler fand sie einen Job. Dem gehörte ein legendärer Nachtclub am Sunset Boulevard. Als er begann, im Keller geheime Pokerspiele abzuhalten, durfte Molly Bloom Cocktails servieren. Sie bekam irrsinnige Trinkgelder, 3000 Dollar schon am ersten Abend.

In ihrem Buch zitiert sie Alice im Wunderland: "Ich kann nicht zu gestern zurück. Ich war da eine andere Person." Nichts war nach diesem Abend wie vorher.

Molly Bloom erweiterte ihre Rolle. Sie lernte alles über Poker und schmiedete klug Allianzen. Als ihr Chef versuchte, sie herauszudrängen, schlugen sich die Spieler auf ihre Seite. Molly Bloom war der Gatekeeper geworden, verlieh auch Geld. Sie verlegte die Spiele in Luxushotels und ließ Champagner servieren. Auf der Höhe ihres Erfolgs kassierte sie vier Millionen Dollar in einem Jahr.

"Ich konnte mein Publikum lesen."

Zehn Plätze gab es am Pokertisch. Erst kostete die Teilnahme, das sogenannte Buy-in, 10.000 Dollar, später eine Viertelmillion. Molly Bloom war streng in ihrer Auswahl. Profis waren nicht erlaubt. Frauen haben es nie versucht. "Ich denke, Frauen wollen diese Art verrücktes Risiko nicht eingehen", sagt sie. An willigen Männern mangelte es hingegen nie. Bei Molly Bloom eingeladen zu sein war für manche die ultimative Trophäe: "Ich bekam Angebote über 100.000 Dollar, Autos, Reisen, Goldbarren." Sie bewegte sich in Kreisen, in denen Geld völlig relativ ist. Einer, erzählt sie, verlor 100 Millionen Dollar in einer Nacht. "Er wurde ganz ruhig. Seine Schuld beglich er am nächsten Tag."

Es ist eine Welt, in der Männer üblicherweise unter sich sind. "Es gibt dir ein Wissen, das vermutlich keine Frau über Männer haben möchte", sagt sie. In ihrem Buch beschreibt sie, wie Schauspieler Ben Affleck über den Hintern von Jennifer Lopez ausgefragt wurde, solche Situationen gab es ständig. "Es war so normal, dass ich im Raum war, da gab es keinen Filter. Und ich stand auch nicht da rum und rief: ‚Hey, Leute!' Männer sollten hier Männer sein, genau darum ging es doch. Ich hab ja nicht die UN geleitet." Ihre stärkste Waffe sei ihre "emotionale Intelligenz" gewesen, sagt sie, ohne lange zu überlegen. "Ich konnte mein Publikum lesen."

Idris Elba spielt den Anwalt Charlie Jaffey
Idris Elba spielt den Anwalt Charlie Jaffey
© Imago/Zuma Press

Zudringlich wurde keiner mehr, sagt sie. Anfangs schon, da habe es ständig Versuche gegeben. "Aber als ich die Teilnehmerliste allein kontrollierte, mir das Spiel sozusagen gehörte, hat sich das gedreht. Da hat mich niemand mehr angemacht. Vielleicht sagte mal jemand: Siehst gut aus. Aber das war respektvoll. ‚Schöner Arsch', so etwas fiel nie. Manchmal kam ein neuer Spieler und versuchte es, aber dann haben ihn die anderen durchdringend angesehen; jeder Neue lernte schnell."

Nur einer war stärker: Schauspieler Tobey Maguire, der schwerstreiche Zocker in die Runde eingeführt hatte und daher großen Einfluss hatte. Im Buch beschreibt Molly Bloom eine fies-demütigende Szene, in der Maguire sie nach einer verlustreichen Nacht gegen Morgen auffordert, auf den Tisch zu klettern und wie ein Seehund zu bellen. Zur Belohnung werde sie 1000 Dollar bekommen. Sie weigerte sich. Was los sei, forderte Maguire sie heraus, ob sie schon zu reich sei für so was? Sie blieb dabei. Am Ende musste Molly Bloom das Spiel von Los Angeles nach New York verlegen, sie hatte den Machtkampf verloren. Im Buch nennt sie ihn bei seinem richtigen Namen, im Film heißt er " Spieler x".

"Tobey", sagt Molly Bloom, "war dieser Strippenzieher. Er hatte alle möglichen Sonderwünsche, damit er noch mehr und noch mehr Geld verdienen würde."

Am Ende war sie schwer drogenabhängig

Sie hat gesehen, was Gier mit Menschen macht, bei sich selbst und allzu oft am Pokertisch: "Die Augen verändern sich, die Menschlichkeit verschwindet, und die Spieler werden zu blutrünstigen Raubtieren", schreibt sie in ihrem Buch. Ein schwacher Spieler habe keine Chance, er werde ausgenommen. "Es wird dann sehr animalisch", sagt sie. "Es passiert meist spät in der Nacht, wenn sie schon viele Stunden gespielt haben. Wenn es bei der Hälfte des Tisches sehr gut läuft und bei der andern sehr schlecht." Zu Prügeleien kam es nie, dafür habe sie zu feine Antennen. "Ich hab jemand vorher vom Tisch weggenommen."

Über Jahre hat Molly Bloom auch beobachtet, was das Spiel mit denen macht, die verlieren. Wie sie nicht aufhören können, selbst wenn sie sich ruinieren. Für ihr eigenes Leben aber konnte sie die Erlebnisse nicht nutzen. "Ich war abhängig vom Geld, abhängig von der Macht." Molly Bloom wollte mehr: "Mir sollte Poker in New York gehören, in Los Angeles, Miami, Vegas, Europa." Sie sagt: "Auf eine Art bin ich dem FBI dankbar." Am Ende war sie schwer drogenabhängig. "Ich war vier bis fünf Tage wach, ohne zu schlafen." Selbst der Überfall des Mafiakillers in ihrer Wohnung hatte sie nicht zur Raison gebracht. "Nein, das hat mich nur wütend gemacht."

Sie kennt viele Geheimnisse, hat unendlich viel erfahren in diesen langen Nächten. Über vieles spricht sie nicht. Weil es Ehen zerbrechen oder Karrieren beenden könnte. Sie hat auch mit dem FBI nicht kooperiert, obwohl sie damit rechnen musste, durch die Weigerung im Gefängnis zu landen; ihr drohten bis zu zehn Jahre Haft. Sie hat den Behörden keine Namen verraten, die diese nicht schon kannten. "Keiner versteht, dass ich mich so entschieden habe." Es sei ganz einfach: Eine Gefängnisstrafe ende irgendwann. "Aber wenn man seine Würde und seine Integrität aufgibt, das würde lebenslänglich bedeuten."

Sie musste nicht ins Gefängnis. 2014 entschied ein Richter sehr zu ihren Gunsten: ein Jahr auf Bewährung, 1000 Dollar Strafe, 200 Sozialstunden. Kurz darauf kam ihr Buch heraus. Und Molly Bloom war auf einer neuen Mission: Der preisgekrönte Drehbuchautor Aaron Sorkin und niemand sonst sollte ihr Leben verfilmen. Sie wollte ihn, weil sie wusste, wie platt ihre Geschichte erzählt werden könnte; mit Sorkin würde das nicht passieren. Es sei nicht leicht gewesen, "Molly's Game" machen zu können, sagt sie. "Es haben so viele berühmte, machtvolle Personen bei mir gespielt, die hatten Angst vor Geschichten, die ich über sie erzählen würde." Es habe viele Versuche gegeben, den Film zu verhindern. Kein weiterer Kommentar, nur ein Lächeln.

Sie ist der größte Fan des Films. "Weil er zeigt, wie Frauen es ganz hochgradig versemmeln können und doch auf die Füße fallen. Ich empfinde den Film als sehr bestärkend." Es sei großartig, dass Sorkin eine so beschädigte Figur entworfen habe, "die Probleme haben darf und widersprüchlich ist. Ich bin von vielen Frauen auf Social Media kontaktiert worden. Sie schreiben, der Film habe ihnen geholfen, sich selbst zu verzeihen."

"Ich hab mit dem Leben gespielt. Und mit dem Gesetz."

© Foto: DDP

"Four of a kind"

"Four of a kind" sind im Poker vier Karten des gleichen Werts – etwa vier Asse, die den höchsten Vierer markieren. Der Goldrausch in Nordamerika Mitte des 19. Jahrhunderts machte Poker populär

Nun also Colorado. Tägliches Meditieren, Self-Help-Bücher und stilles Wasser. Um 20.30 Uhr liegt sie im Bett. "Solange ich es mir aussuchen kann, bleibe ich hier." Nach Los Angeles oder New York ziehe sie nichts. "Es passt nicht zu meinem Lebensstil und dem, was mich glücklich macht." Ihr altes Leben – es fehle ihr nicht, sagt sie. "Eine Weile schon, aber längst nicht mehr." Mit niemandem aus dieser Zeit habe sie je wieder gesprochen. Im vergangenen Jahr hat sie ein "Zwölf-Schritte-Programm" absolviert, Alkohol und Drogen verbannt. "Und ich habe zum ersten Mal wirklich nach innen geschaut. Einen inneren Kompass zu finden war unglaublich." Ihr spirituelles Sein habe sie entdeckt und es angepackt wie alles in ihrem Leben: präzise und tatkräftig. "Ich ging es an wie eine Athletin. Oder wie man ein Start-up gründen würde."

Was sie heute will: von Natur umgeben sein, nah bei ihrer Familie. Gestern erst waren sie alle zusammen Ski fahren, erzählt sie und deutet auf einen der Gipfel vor dem Fenster. "Ich suche Balance. Das geht leichter, wenn die Leute um dich herum das Gleiche versuchen."

Ein zweites Buch möchte sie schreiben. Arbeitstitel: "How to unfuck your life". Gerade sitzt sie am Exposé. Und sie will sich als Rednerin engagieren lassen. Da wird sie dann Sätze sagen wie diesen: "In den ersten drei Jahrzehnten meines Lebens ging es mir darum, die Welt zu erobern. Jetzt erobere ich mich selbst." Molly Bloom spricht druckreif und setzt Pointen. Wenn sie etwa sagt, sie sei nie spielsüchtig gewesen, korrigiert sie sich: "Na ja, auf einer höheren Ebene schon. Ich hab mit dem Leben gespielt. Und mit dem Gesetz."

Erfolgsgetrieben ist sie unverändert, wird sie immer sein. "Aber ich definiere Erfolg anders. Es schließt etwas ein, das größer ist als ich selbst." Etwa eine gute Enkeltochter für ihre 92-jährige Großmutter zu sein. "Sie hätte mich in meinem früheren Leben zu Tode gelangweilt."

Workshops will sie entwickeln. Für Frauen und Mädchen. "Ich habe Lösungen anzubieten." Eine groß angelegte Operation soll das Ganze werden, mit Co-Working-Spaces, Kinderbetreuung, veganem Restaurant und vor allem: gegenseitiger Unterstützung.

"Es geht mir darum, Frauen zu stärken"

Nach all den Testosteron-Jahren nun Frauenzirkel? "Ja, mir reicht es", sagt sie lachend. "Aber nein, ich mag Männer sehr gern. Nur geht es mir darum, Frauen zu stärken. Für Frauen ist es gerade ein besonderer Moment. Wir haben eine wirkliche Chance, die Welt zu verändern."

An diesem Nachmittag in Denver ist es bis zur Oscar-Verleihung noch eine Woche hin. Aber die Vorfreude ist ihr anzumerken. Auch das hat sie beim Poker gelernt: wie ein Comeback aussieht. In großer Robe auf dem roten Teppich. In Los Angeles, ausgerechnet dort. Sie lacht. "Es fühlt sich an wie eine Wiedergutmachung." Trotzdem, um 22 Uhr werde sie im Bett liegen, beteuert sie.

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