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Ohne Bestandsschutz: Seit Juli gelten schärfere Regeln für Berlins Spielhallen. Doch sie umzusetzen, ist schwierig. Und nicht alle Casinos sind offiziell als solche registriert.

© dpa/ Britta Pedersen

Spielhallen in Berlin: Senat tut sich schwer mit der Schließung von Casinos

Jeden Tag verlieren Berliner 500.000 Euro in Casinos. Der Senat will deshalb hunderte schließen. Doch es ist nichts passiert.

Es läuft gut für Hassan Naybet. Schon zehn Extrarunden heute und mehrfach den doppelten Cowboy, das bringt jedes Mal zweifachen Gewinn. „Kleine Glückssträhne“, sagt Naybet, dann korrigiert er sich: Es komme natürlich auch auf die richtige Strategie an. Sein Spiel heißt „Book of Ra“. Über den Monitor rattern Buchstaben und Symbole, und alle paar Sekunden drückt Hassan Naybet mit angewinkeltem Mittelfinger auf die grüne Taste. Dann bleiben die Zeichen stehen, und Naybet sieht, welche Symbole zusammenpassen, ob er also gewonnen hat. So oder so drückt Naybet wieder auf die Taste. Und wieder. Immer mit demselben angewinkelten Finger. Der pocht, als sei er ein Specht.

Naybets Kontostand zeigt 2,80 Euro an. Münzen zum Nachwerfen stapeln sich neben ihm auf der Ablage. Er könnte auch Scheine einwerfen, doch das wäre strategisch unklug, sagt Hassan Naybet, denn dann würde die Maschine erkennen, dass einer vor ihr sitze, der bereit sei, viel Geld loszuwerden. „Der Automat arbeitet mit Pychotricks“, sagt Naybet, „aber ich tue es auch“.

Acht Geräte stehen in dem Raum. Die Chancen stehen gut, dass bald alle acht Automaten ausgeschaltet werden, für immer. Das Land Berlin will es so. Von den zehn Spielhallen, die sich auf diesem Abschnitt der Moabiter Stromstraße befinden, sollen neun schließen. Berlin hat das schärfste Gesetz gegen Spielhallen in ganz Deutschland beschlossen. Wichtigstes Ziel: Menschen vor der Sucht bewahren – jeden Tag verlieren Berliner mehr als 500.000 Euro an Glücksspielautomaten. Eigentlich sollten bis Jahresende hunderte Spielhallen verschwunden sein. Es wird nicht passieren.

„Ich weiß, dass ich am Ende Minus mache“

Hassan Naybet sagt, die Politiker sollten sich lieber um echte Probleme kümmern. „Ich weiß, dass ich am Ende Minus mache“, sagt er. „Aber das passiert auch, wenn ich ins Kino gehe oder zum Fußball.“ Automatenspiel sei sein Hobby. 60 Euro für drei oder vier Stunden Spaß, das gehe doch in Ordnung. Was genau ihm Spaß bereite? Er überlegt. „Die Vorfreude“, sagt er. Wenn er morgens aufstehe und wisse: Um elf öffnet die Halle.

Hassan Naybet ist 24, gebürtiger Berliner, der Vater aus Marrakesch. Sein Nachname lautet eigentlich anders. Mit dem Geld, das Naybet als Verkäufer verdient, kann er sich höchstens zwei Spielhallenbesuche pro Woche leisten. Der Verlust sei eingeplant. „Mein Ziel ist, dass ich möglichst lange auskomme mit dem Geld.“ Er sagt, er versuche der Maschine vorzutäuschen, er sei Anfänger. Denn die Automaten seien so programmiert, dass sie Einsteiger mit besseren Gewinnquoten köderten. „Anfüttern heißt das. Deshalb lege ich nie sofort los, sondern tippe erst zwischen den Spielen hin und her, bevor ich eines auswähle.“

Der ältere Mann zwei Automaten weiter hält Naybets Strategie für Quatsch. Es komme eher darauf an, zu Tagen und Uhrzeiten zu spielen, an denen es möglichst wenig andere tun. Suchtexperten sagen, es gebe überhaupt keine erfolgversprechenden Strategien, nur Aberglauben.

Es ist schwierig, mit Hallenbetreibern ins Gespräch zu kommen. Geht man persönlich vorbei, heißt es: Rufen Sie an. Ruft man an, heißt es, der Chef sei in Urlaub. Die Angestellte einer Spielhalle in Moabit sagt, ihr Chef habe keinen Namen. Hat die Branche was zu verbergen?

Manche verspielen in einer Nacht ihren Hartz-IV-Satz

Daniel Buchholz will sprechen. Der 48-Jährige sitzt für die SPD im Abgeordnetenhaus, der Kampf gegen die Spielhallen ist sein Thema, ohne ihn hätte es das neue Gesetz nicht gegeben. Jetzt wartet Buchholz draußen an der Kreuzung von Strom- und Turmstraße. Er sagt, die Forschung habe drei Risikogruppen für Spielsucht ausgemacht: „Junge Männer, Arbeitslose, Migranten.“ Oft sind es Menschen, die vor einer Notlage flüchten wollen, wenigstens für ein paar Stunden. Er sagt, er kenne Süchtige, die innerhalb einer Nacht ihren Hartz-IV-Satz verspielten. Und solche, die ihre Familie jahrelang belügen und dann systematisch bestehlen. „Es ruiniert Menschen“, sagt der SPD-Mann.

Er selbst hat nie das Bedürfnis verspürt, Münzen in so ein Gerät zu stecken. Buchholz ist umwelt- und energiepolitischer Sprecher seiner Fraktion. Vor sechs Jahren fiel ihm auf, dass sich in den Kiezen seiner Jugend, den Spandauer Ortsteilen Haselhorst und Siemensstadt, ganze Straßenzüge veränderten. „Sobald ein Laden schloss, hat in der nächsten Woche eine Spielhalle aufgemacht. Oft mit dickem Wagen vor der Tür.“ Er recherchierte und erfuhr, dass es in anderen Vierteln ähnlich lief. Buchholz dachte: Diese Flut muss doch zu stoppen sein. Er hatte keine Ahnung, wie kompliziert es sein würde.

Im Zweifel entscheidet das Los, welche Halle bleiben darf

Ein paar Änderungen greifen schon. Die Vergnügungssteuer ist von elf auf 20 Prozent erhöht worden. Die Anzahl der Maschinen pro Halle auf acht reduziert. Die Schließzeiten wurden ausgeweitet, von einer Stunde pro Nacht auf acht. Außerdem sollen zwischen zwei Spielhallen mindestens 500 Meter Abstand liegen. Im Juli ist der Bestandsschutz abgelaufen. Jetzt könnten die Hallen dichtgemacht werden. Eigentlich. Buchholz sagt, sie hatten sich das so gut überlegt.

Im ersten Schritt sollten die Bezirke alle Hallen aussieben, deren Betreiber in der Vergangenheit gegen Gesetze verstoßen haben. Problem: Als die Branche davon erfuhr, haben viele Läden ihre Geschäftsführer ausgewechselt. Bis heute haben die meisten Bezirke ihre Prüfung nicht abgeschlossen, und erst wenn der letzte Bezirk seine Liste komplett hat, kann die nächste Phase beginnen.

In Phase zwei sollen alle Spielhallen aussortiert werden, die näher als 200 Meter an einer Ober- oder Berufsschule liegen. Problem: Lange existierte keine Liste, die sämtliche Schuladressen samt Nebenstandorten erfasste. Im finalen Schritt müssen die Abstände zwischen den übrig gebliebenen Hallen gemessen werden. Im Zweifel entscheidet das Los, wer bleiben darf. Welch Ironie. Den Spielhallen wird per Glücksspiel der Garaus gemacht.

Der Zeitplan ist schon jetzt hinfällig. Selbst wenn alle drei Phasen durchlaufen sind und das Los ermittelt hat, wer schließen muss, selbst wenn es die Bezirke dann schaffen, ihre Bescheide fehlerfrei zu verschicken, selbst dann wird den Betreibern eine weitere Schonfrist von sechs Monaten bleiben. Vor Herbst 2017 muss also niemand dichtmachen.

Besonders viele dieser Schein-Cafés gibt es in Neukölln

Und dann die ganzen Klagen. Ein paar hat es schon gegeben, bisher erklärten alle Gerichte das Vorgehen der Stadt für rechtens. Aber sobald die Schließungsbescheide verschickt sind, wird es weitere Prozesse geben. Behauptet jedenfalls Thomas Breitkopf, Präsident des Bundesverbandes Automatenunternehmer, einer der wichtigsten Lobbyisten. Am Telefon sagt er, das Berliner Gesetz stecke „voller Müll“. SPD-Mann Buchholz hält er für einen „Gutmenschen, der glaubt, die Menschen vor sich selbst schützen zu müssen“. Die Politik solle akzeptieren, dass jeder Mensch einen natürlichen Spieltrieb habe. „Was der Senat stattdessen macht: Er bekämpft die legalen Spielstätten und lässt die illegalen gewähren.“

Damit meint Breitkopf die sogenannten Café-Casinos. In jedem Lokal dürfen nämlich drei Automaten hängen. Manche Wirte nutzen das aus und geben vor, in einem Lokal gleich mehrere Gaststätten zu betreiben.

Besonders viele dieser Schein-Cafés gibt es in Neukölln. Zum Beispiel der Eckladen in einer Seitenstraße der Karl- Marx-Straße, nicht weit vom Rathaus. Freitagabend sind hier fünf Gäste, alles Männer mittleren Alters, alle sitzen an Automaten. Früher war das hier eine Einraumkneipe, jetzt steht in der Mitte eine Rigipswand. Die Glastür, die beide Teile verbindet, steht offen. Ein Schild behauptet: „Kein Eingang“. Aber der Barmann sagt, das müsse man nicht ernst nehmen.

Alle Gäste wissen, dass die Trennwand nur ein Trick ist. Um zu verschleiern, dass es sich nicht um zwei Cafés, sondern eine Spielhalle handelt. Aber ohne die strengen Regulierungen: ohne Ruhezeiten in der Nacht und Öffnungsverbot an Feiertagen, ohne Rauch- und Trinkverbot, ohne Mindestabstand der Geräte.

So echt wie die Plastikblume auf dem Tresen

Es gibt weder Flaschen noch Gläser, der Kühlschrank ist gar nicht eingestöpselt. Das ganze Café ist so echt wie die Plastikblume auf dem Tresen. Die Männer kennen sich, Gesprochen wird kaum. Einer der Männer sagt, bei manchen Spielen könne man durchaus Gewinn erzielen, das seien Erfahrungswerte. „Probier mal Shogun.“ Er selbst hat nie gesehen, dass Leute große Summen gewinnen. Aber er hat davon gehört.

Fragt man den Bezirk, warum er gegen die Schummel-Cafés noch nicht eingeschritten ist, heißt es: Die Adresse sei dem Ordnungsamt bekannt, Kontrollen hätten in der Vergangenheit Ordnungswidrigkeitsverfahren nach sich gezogen. Geschlossen wurde nicht. In der Moabiter Stromstraße versucht Daniel Buchholz, eine Spielhalle zu betreten. Er scheitert an der Eingangstür.

Die geht nur auf, wenn der Gast außen unter der Überwachungskamera die Klingel drückt und sich der Angestellte drinnen zum Aufmachen entschließt. Tut der nicht. Vielleicht liegt es an Buchholz’ Anzug. „Die Betreiber behaupten, sie müssten ihre Hallen vor Raubüberfällen schützen“, sagt Buchholz. Tatsächlich lassen sich so auch unangemeldete Besuche des Ordnungsamts sabotieren.

Alleine in dieser Woche gab es Razzien in 50 Casinos

Eine Spielhalle weiter hat Daniel Buchholz mehr Glück. Er grüßt die Frau am Tresen, streift durch den Raum. Buchholz zeigt auf die mannshohen Trennwände aus Plastik zwischen den Automaten. Einer seiner Erfolge. Der Senat hat sie vorgeschrieben, um zu verhindern, dass Süchtige ihr Geld in doppelter Geschwindigkeit verlieren. Buchholz weiß leider auch, dass Spieler das Problem einfach umgehen können, indem sie ein Gerät im Automatikmodus laufen lassen. So beginnt die Maschine nach jeder Runde von sich aus direkt eine weitere, solange, bis alles Guthaben verbraucht ist. Der Spieler muss nur ab und zu auf der anderen Seite der Trennwand nachsehen, ob er neues Geld einwerfen muss.

Allein in dieser Woche gab es Razzien in 50 Spielhallen. Buchholz sagt, bei 95 Prozent der Fälle gebe es Beanstandungen. Das reiche von Drogenhandel bis zu Mitarbeitern, die per Haftbefehl gesucht würden. Kaum nachweisbar sind Manipulationen an den Automaten. Gesetzlich ist vorgeschrieben, dass ein Gerät pro Stunde maximal 35 Euro des eingeworfenen Geldes einbehalten darf. Durch Tricksereien an der Software lässt sich das umgehen – und zwar, je nach Wunsch, in beide Richtungen. Ein Betreiber kann die Ausschüttquote des Geräts senken, um mehr Gewinn zu machen. „Ein Krimineller, der Schwarzgeld waschen möchte, ist dagegen an einem hohen Umsatz interessiert“, sagt Buchholz.

Da könne der Reingewinn gern niedriger ausfallen. Thomas Breitkopf, der Präsident des Bundesverbandes Automatenunternehmer, glaubt nicht, dass in Spielhallen häufig betrogen werde. Ganz anders übrigens, sagt er, als an dem Ort, an den Spieler seiner Meinung nach flüchten werden, wenn die Berliner Hallen tatsächlich zu hunderten dichtgemacht werden: das Internet.

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