In die Karten geschaut

Ob im Fernsehen, im Internet, in Zeitschriften oder Casinos: Ganz Frankreich pokert mit Begeisterung und erfreut damit die Glücksspielindustrie.

Seit vier Jahren sind Philippe und seine Sandkastenfreunde dem Spiel verfallen. Sie sind begeisterte Spieler, die eigentlich öfter den Controller von Spielkonsolen in die Hand nehmen als Casino-Jetons. „Bei einem unserer Treffen ist unsere Playstation kaputt gegangen: Wir mussten uns also irgendwie anders beschäftigen.“, grinst der Photograph.

Und schon nach einigen Klicks im Internet begannen sie zu pokern: Erst die einfachen Spielregeln, dann die Begeisterung für die Karten, die Strategie, das Glück und natürlich das Bluffen. „Es ist ein fieser Trick, man wird wirklich süchtig. Wir beschränken unsere Einsätze freiwillig auf 10 oder 20 Euros. Aber wir waren gezwungen, unseren Tagesablauf zu ändern: Es ist hart, wenn man mitten unter der Woche erst gegen 4 oder 5 schlafen geht…“

150 000 Spieler

Und sie sind nicht die Einzigen: Der Poker-Club, der 2002 mit dem Zweck gegründet wurde, „den Pokerbegeisterten eine Plattform zu bieten und das negative Image des Pokers zu entmystifizieren“, hat derzeit 5688 offizielle Mitglieder. Sie kommen aus Städten von Marseille bis Brüssel, sind zwischen 14 und 67 Jahre alt, arbeiten als Angestellte aus dem Finanz- und Industrieministerium oder als Verkäufer, sie studieren, sind Singles und junge Eltern, darunter viele Frauen… So wie sie spielen zwischen 100 000 und 500 000 Franzosen eine der vielen Varianten des geheimnisvollen Spiels, privat, in kleinen Zirkeln oder online.

„Es ist sehr schwer zu sagen, wie viele Spieler es tatsächlich gibt“, erklärt Francois Montmirel, internationaler Pokerspieler und wissenschaftlicher Direktor der französischen Pokerschule. „Soweit ich weiß, gab es im Jahr 2000 15 000 regelmäßige Spieler. Heute sind es bereits 150 000. Mit einer Wachstumsrate von 50% pro Jahr wird Frankreich bald Großbritannien und die skandinavischen Länder einholen.“

Kino machte das Spiel bekannt

Der Sänger Patrick Bruel, Weltmeister im Pokern im Jahr 2004, hat sicherlich dazu beigetragen, das amerikanische Spiel in Frankreich bekannt zu machen. Doch der unaufhaltsame Aufstieg des Spiels begann bereits 1998. „Der Film Rounders hatte einen sehr großen Einfluss“, erinnert sich ein Experte, der mehrere Bücher zum Thema Poker geschrieben hat. „Matt Damon spielt darin einen Amateur, der sich eines morgens entscheidet vom Poker zu leben. Wie Steve Mac Queen in Cincinnati Kid 30 Jahre zuvor, zeigt dieser Film sehr deutlich die Auswirkungen des Pokerspiels in allen Facetten: das Glücksspiel, die Verpflichtung zu Gewinnen, die Wut beim Verlieren, das Risiko…“

Kurz gesagt, es sind die starken Emotionen, die das Spiel bei der jungen Generation so beliebt machen. Und dieser – sowohl in der Literatur als auch im Kino vervielfachte – Effekt hat nichts von seiner Anziehungskraft verloren: Erst vor kurzem hat sich mit James Bond ein weiterer Star bei einigen Pokerpartien ausgetobt.

Bingo! Seitdem die ersten Pokerturniere in den USA, dem wahren Auslöser der Pokermania, übertragen wurden, schwimmen immer mehr Fernsehsender auf dieser Welle. Nach dem Pionier Canal Plus, der seinen Zuschauern am Freitagabend Poker bietet, ist es jetzt die Kette Direct 8, die im Jahr 2007 die Ausstrahlung von insgesamt 25 Wochen Live-Poker plant. TF1 plant gemeinsam mit der Gruppe Cartouche einen Wettbewerb, an dem unter anderem anonyme Spieler teilnehmen können. Und auch die Print-Magazine sind von dem neuen Trend angesteckt. Seit Juni 2006 gibt es die beiden Monatszeitschriften „Live Poker“ und „Poker Magazine“ in einer Auflage von 50 000 Stück. Außerdem gibt es eine Fülle von DVDs, Videospielen und Büchern, die den Markt überschwemmen. Und wem dann noch immer etwas fehlt, der kann sich aus einer Vielzahl von Pokermatten, Jetons und Profikarten bedienen.

Francois Montmirel schätzt, dass die Pokerindustrie etwa 150 Millionen im Jahr verdient. Und das ohne die Einnahmen durch das Internet, für das Poker eine wahre Goldgrube ist. „Auf den 350 Pokerseiten, die in einer Sekunde von 120 000 Spielern weltweit genutzt werden, gehen jeden Tag ungefähr 300 Millionen Dollar von Hand zu Hand. Einige davon sind sogar an der Börse gelistet. Die größten unter ihnen organisieren alle vierzehn Tage Turniere, die mit mehr als einer halben Million Dollar dotiert sind.“

Ab wann ist eine Poker-Aufsichtsbehörde nötig?

Aber man muss auch aufpassen, um nicht in die Spielsucht abzurutschen. „Poker ist das absolute Spiel“, sagt Marc Valleur, Chefarzt am Abhängigenzentrum Marmottant. „Es unterscheidet sich von den pathologischen Spielen, die vom Zufall dominiert werden. Und es scheint als ob diese Komponente, bei der man aufs Ganze geht, stärker ins Gewicht fällt, da man dabei leicht die Kontrolle verlieren könnte. Die anderen Arten von Spiel sind nicht so riskant: Wenn man beruflich Hühner rupft, um Geld zu verdienen hat das nichts Schwindelerregendes an sich. Wenn man sich mit anderen Spielern in sportlichem Ehrgeiz misst, kennt man von Anfang an die beschränkte Chance dabei.“ Für den Autor von „Des pathologies de l’excés“ ist das Problem im staatlichen Verbot des Spiels zu suchen.

Ein Anachronismus also, dass Poker, das als Glücksspiel gilt, in Frankreich seit 1930 verboten ist. Nur mit einer speziellen Genehmigung darf man in bestimmten Kreisen und bald auch in Casinos Poker spielen. Allerdings wird es derzeit stillschweigend toleriert, solange keine öffentliche Werbung dafür gemacht wird. Der konservative Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy will diesbezüglich hart durchgreifen, das Pokerspiel für illegal erklären und jegliche Werbung verbieten. „Aufgrund des Internets und der Harmonisierung der europäischen Gesetze setzen wir uns für einen Spielbeobachter ein, der von einer unabhängigen Regulierungsbehörde unterstützt werden soll“, fordert Marc Valleur. Ein sicherer Einsatz oder nur ein weiterer Bluff?

Mit Dank an Francois Montmirel und Marc Valleur