Präventionsarbeit Fehlanzeige

Bei der Suchtgefahr durch Sportwetten wird in Deutschland mit zweierlei Maß gemessen

Berlin/Düsseldorf – Goldgräberstimmung macht sich breit. Wie 1896 der Goldfund am Klondike eine Massenwanderung nach Alaska auslöste, so scheint in Deutschland die Fußball-Weltmeisterschaft durch die Hoffnung auf Profit zu elektrisieren. Mobilfunkanbieter bereiten Handy-TV-Services vor, damit niemand ein Tor verpasst, die Tourismusbranche rechnet mit über einer Millionen Übernachtungen, selbst die Deutsche Bahn erwartet aufgrund ihrer Omnipräsenz zumindest auf den Gewinn an internationalem Renommee.

Doch die WM treibt auch seltsame Blüten. Während Politik und Oddset-Lobby krampfhaft gegen eine Liberalisierung der Glücksspielgesetzgebung anrennen und dabei nur allzu gerne und in scheinbarem öffentlichen Interesse vor der Suchtgefahr von Glücksspielen warnen, pumpen die Lottoanbieter gerade in diesen Tagen astronomische Summen in die Werbung. Lotto lockt neben dem Jackpot mit Tausenden von Tickets für die Fußball-WM. Da ist das Zocken schon erwünscht. Eintrittskarten soll man ruhig beim staatlich beförderten Glücksspiel gewinnen können, Sportwettenanbietern will der gleiche Staat jedoch verwehren, Geld zu verdienen und darüber hinaus auch möglicherweise noch bis zu 30 000 Arbeitsplätze in der Branche zu schaffen.

„Deutschland sollte die Liberalisierung des Wettmarktes als Chance nutzen und den milliardenschweren europäischen Markt nicht freiwillig den europäischen Nachbarn überlassen“, sagt Markus Maul, Präsident des Verbandes Europäischer Wettunternehmer (VEWU), im Gespräch mit der Tabak Zeitung http://www.tabakzeitung.de.

Auch der Sportausschuss des Deutschen Bundestages hatte sich in der vorletzten Woche in einer öffentlichen Anhörung dem Thema gewidmet. Hintergrund ist das im April zu erwartende Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das über eine EU-Vorlage entschieden wird, die eine weitere Liberalisierung für Sportwetten vorsieht. Alle Arten von Wetten, so Sabine Grüsser Sinopoli von der Interdisziplinären Suchtforschungsgruppe Berlin (ISFB) http://www.isfb.org, hätten ein Suchtpotenzial in sich. Das gelte auch für Sportwetten, die dennoch nicht so konsequent in die Sucht führen würden, wie etwa Automatenspiele. Allerdings, so räumte sie ein, fehle es auch noch an verlässlichen Studien auf diesem Gebiet.

Wenn ein Land selbst aus fiskalischen Interessen Glücksspiele anbiete, könne es sein Monopol in diesem Markt nicht mit dem Argument aufrechterhalten, es diene dem Ziel, die Gelegenheit zum Spiel zu vermindern, so Maul. Wer den Schutz vor Spielsucht ins Feld führe, verkenne die Tatsachen, meint auch Helmut Sürtenich, Vorstand der Düsseldorfer Stratega-Ost Beteiligungen AG http://www.stratega-ost.de, die im vergangenen Jahr ins Sportwettengeschäft eingestiegen ist. Das wäre dann die erste Sucht, der gesetzlich beizukommen wäre. „Vor dem Hintergrund der massiven Werbung der staatlichen Landeslotterien ist das Präventionsargument längst ad absurdum geführt, Präventionsarbeit Fehlanzeige!“ Neue Glückspielprodukte wie Keno und Quicky würden von den staatlichen Lottogesellschaften mit erheblichem Werbeaufwand eingeführt, wobei der besondere Reiz, täglich an mehreren Ziehungen teilnehmen zu können, herausgestellt werde. „Hier wird leider mit zweierlei Maß gemessen!“ Stratega-Ost hat sich durch den Erwerb des österreichischen Wettsoftware-Herstellers Wettcorner GmbH http://www.wettcorner.com zum Jahreswechsel den Einstieg ins Sportwettengeschäft in der weniger regelungswütigen Alpenrepublik gesichert.

Erwin Horak, Präsident der staatlichen Lotterieverwaltung, bezeichnete vor dem Bundestagsausschuss die Kontrolle des Wettmarktes als sinnvoll. Schließlich könne man die Sportwetten nicht verbieten. Mit der Oddset-Wette habe man die geeignete Ordnung für den Spielbetrieb gefunden, ein Argument, das der Deutsche Buchmacherverband (DBV) bereits vor Monaten entkräftet hat. Das größte Geschäft mit Sportwetten werde im Internet gemacht, sagt dessen Präsident Norman Albers. Der Verbraucher profitiere von konkurrierenden Angeboten durch mehr Vielfalt und bessere Quoten. „Damit läuft das Argument ins Leere, das Wettgeschäft könne nur durch den staatlichen Anbieter kanalisiert werden.“

Insider haben für die so genannte Ordnung jedoch andere Ursachen ausgemacht. Die tatsächlichen Beweggründe für den Widerstand der starken staatlichen Lobby gegen die Liberalisierung der Glücksspielregelungen hat eine Goldmedia-Studie http://www.goldmedia.de ans Tageslicht gebracht. Demnach betrugen die Umsätze des deutschen Glücksspielmarkts 2004 rund 28 Milliarden Euro. Davon flossen rund zehn Milliarden als Bruttospielergebnis in die Kassen der Glücksspielanbieter. Der Anteil der Staatseinnahmen an diesem liegt konstant bei 45 Prozent, womit Bund und Länder ihren maroden Haushalten durch die staatlich lizenzierten Unternehmen rund 4,5 Milliarden Euro zuführen konnten. Nicht zuletzt werden obendrein die Aufsichtsräte von prominenten Politikern dominiert, die nicht nur das Wohl des Landes, sondern auch ihr eigenes Bankkonto im Auge haben.

Auch das Argument, private Anbieter könnten die Sportförderung nicht gewährleisten, sei nicht haltbar. Der Verband der Europäischen Wettunternehmer bezieht hierzu klar Stellung: „Der Löwenanteil der Fördermittel, die der Deutsche Lotto- und Totoblock aus der Konzessionsabgabe den Sportverbänden zuführt, stammt aus seinen klassischen Glückspielprodukten Lotto 6 aus 49, Spiel 77 oder Glücksspirale. Von der Sportwette des Lotto-Blocks erhält der Breitensport dagegen nur einen unbeachtlichen Teil seiner Fördermittel.“ Den Sportverbänden drohen daher angesichts einer Liberalisierung des Sportwettmarktes keine wesentlichen finanziellen Einbußen.

Wenn der deutsche Fiskus privaten Wettunternehmern steuerliche Rahmenbedingungen schaffe, die es ihnen vom Standort Deutschland aus ermöglichen, den deutschen und europäischen Markt zu bearbeiten, werde er insgesamt – auch auf dem Arbeitsmarkt – von dem Wachstumsmarkt profitieren, meint Markus Maul.