So erlebte ich die World Series of Poker 2005 im Casino Rio in Las Vegas – Letzter Teil

Michael Keiner
Poker-Experte
E-Mail: laserase@aol.com


Der Pokerboom und seine Folgen

Kaum jemand konnte sich vor 4 Jahren vorstellen, welche Entwicklung die Weltmeisterschaft nehmen würde. Seit Chris Moneymaker (die Erfolgsstory fängt schon beim Nachnamen an) 2003 den WSOP Hauptevent mit nur 40 $ Einsatz (über mehrere Online Satellites gewann er die 10.000 $ buyin) gewonnen hat, erlebte Poker einen riesigen Boom in den USA.

Die Medien griffen das Thema dankbar auf und so findet man heute fast täglich Pokershows im Fernsehen. Es gibt sogar eine spezielle Pokersoap mit dem Namen „Tilt“. Die Animation durch das Fernsehen führt wieder mehr Leute zum Pokern und so wächst die Branche und wächst und wächst… Ein Ende ist nicht absehbar.

Statt Robbie Williams und Britney Spears hängen heute übelebensgroße Poster von Marcel Luske und Annie Duke in den Schlafzimmern der Teenies, In der Highschool wird statt Baseball nachmittags Poker gespielt und am College wird statt des Footballmatch ein No Limit Holdem Turnier organisiert. Phil Helmuth jr. kann für div. Veranstaltungen gemietet werden; man muss nur die bescheidene Summe von 25.000 $ pro Auftritt auf den Tisch legen (faszinierend, er bekommt das Geld auch tatsächlich bezahlt).

Diesen Trend sieht man ebenso deutlich am Teilnehmerfeld des „big one“. War es letztes Jahr schon die atemberaubende Zahl von 2.300 Teilnehmern, folgten dieses Jahr mehr als 5.600 Spieler dem Ruf der Wildnis und so wurde es das bis dato größte Pokerturnier, das die Welt je gesehen hat. Das führte natürlich zu riesigen Preisgeldern. Bereits der 560. Platz wurde mit 15.000 $ bezahlt, jeder der 9 Finalisten war frisch gebackener Millionär und dem Sieger winkte die unglaubliche Summe von 7,5 Millionen $.

Glücksritter und andere Lebenskünstler

Ein Sammelsurium unterschiedlichster Typen aus aller Herren Länder gaben sich ein Stelldichein im RIO Convention Center. Neben den obligatorischen Pokerpros und ambitionierten Amateuren fanden sich Glücksritter ein, die ihr letztes Geld zusammen gekratzt hatten, um den Wurf ihres Lebens zu landen.

Tausende von Online Qualifikanten, die wie Moneymaker mit 40 $ Einsatz ihr Startgeld erspielt hatten, manche so jung, dass man sich ernsthaft fragte, wie sie durch die Ausweiskontrolle gekommen waren, bevölkerten den Saal. Der Ausdruck „Pokerkid“ ist mittlerweile gängiger Sprachgebrauch in den USA. Einige spielten zum ersten Mal in ihrem Leben mit richtigen Karten, die man tatsächlich anfassen konnte.

Zu Beginn des Turniers kam die Lautsprecherdurchsage des Direktors: „Ladies and Gentleman, der Knopf zum Raisen befindet sich an der rechten Unterseite Ihres Stuhls“. Hatte ich da nicht einige Köpfe bemerkt, die verstohlen ihre Sitzfläche absuchten?

Es kamen Leute, die Ihr Startgeld bei einem Belegschaftsturnier Ihrer Firma gewonnen hatten und es gab auch Spieler, die zur Teilnahme regelrecht gezwungen werden mussten: Bestes Beispiel war ein sehr guter Freund Paul „Catfish“ Fishmann, ein in Florida ansässiger Doktor der Psychiatrie, ambitionierter Hobbygolfer und mit vielen Jahren Erfahrung hervorragender Pokeramateur, der etlichen Profis den Rang ablaufen würde, wollte sich eigentlich nicht den Stress antun und das Turnier spielen. Doch er hatte nicht mit der Beharrlichkeit seiner Golffreunde in Florida gerechnet. Da er bereits einmal ein größeres Pokerturnier gewonnnen hatte, waren seine Kollegen der festen Überzeugung, Paul müsse die Ehre des Golfclubs „Gator Creek“, Sarasota bei der WSOP vertreten. Es wurde zusammengelegt und Paul konnte nicht umhin, in Vegas anzutreten. Der Clou der Story: Paul kam kurz vor dem main event an und aus Trainingsgründen spielte er sofort im 1,500 buy in Seniors event mit. Er wurde 3. aus mehr als 600 Teilnehmern und aufgrund eines Deals der 3 letzten Spieler kassierte er ein Preisgeld von 120.000 $. Schöne Trainingsrunde, oder?

Der Event vor dem Event

Poker Rio Las Vegas  WSOP 2005 Ich hatte mein Startgeld bei einem sog. Megasatellite mit 1.000 $ buyin gewonnen. 650 Spieler nahmen teil und die bestplazierten 65 Spieler bekamen ihren Platz im „big one“. Fortuna hatte an diesem Tag ein Einsehen mit mir, ich war niemals in Gefahr auszuscheiden und als nach ca. 8 Stunden Spieldauer Nummer 66 das Turnier verlassen musste, war es vollbracht; ich war qualifiziert.

Das Los hatte mir Tag 1 beschert. Aufgrund des riesigen Teilnehmerfeldes wurden die Spieler in 3 Gruppen à 1.850 aufgeteilt und der erste Turniertag fand insgesamt 3x statt. Jede Gruppe spielte dann solange, bis nur noch 650 Leute übrig waren, die dann am 4. Turniertag, der eigentlich für alle verbliebenen Teilnehmer Tag 2 war, zu einem einzigen Feld von 1.950 Spieler zusammengeführt. In freudiger Erwartung kam ich ca. 20 Minuten vor Beginn ins RIO. Bei der Ankunft verschlug es mir erstmal die Sprache. Im eigentlich dem Convention Center vorgelagerten Pavillon war über Nacht eine Messe aufgebaut worden, die ich in dieser Größe nur von früheren Medizinerkongressen kannte. Mehr als 30 Anbieter von Onlinepoker, des weiteren Fachbuchhändler, Chips und Tischfabrikanten, hatten hier ihre Stände aufgebaut. Selbst ein Hersteller von eigens für Pokerspieler designte Sonnenbrillen, versuchte seine Ware an den Mann/Frau zu bringen. Abgerundet wurde das Ganze durch eine gut moderierte Bühnenshow von Pokernetwork, die Interviews mit Pokerpromis brachten oder Showgames veranstalteten. Im Saal selbst hatte man das Gefühl, der weibliche Anteil des Baywatch Teams sei direkt aus Malibu eingeflogen worden, um an jeder Ecke Prospekte zu verteilen. Wem das nicht genügte, konnte sich auch noch mit 4 exorbitant gutaussehenden Cheerleadern auf einer Harley fotografieren lassen. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, vor 3 Jahren bestand die einzige Verkaufsaktivität bei der WSOP darin, dass ein in Ehren ergrauter Händler auf einem leeren Pokertisch diversen Schmuck und Uhren zu so günstigen Preisen feilbot, dass man sich fragte, ob die Ware möglicherweise wenig zuvor von einem Lastwagen gefallen ist.

Lasst die Spiele beginnen

Kein Wunder also, dass ich wirklich auf den allerletzten Drücker meinen Sitzplatz im Turnier einnahm. Die Geschichte meiner Turnierteilnahme ist schnell erzählt. Ich erwischte einen staubtrockenen Tisch und die Qualität meiner Hände während der ersten Stunde ließen alsbald die Frage in mir aufkommen, wofür ich denn so bestraft werden solle.

Einmal verpasste ich eine gute Gelegenheit, ein paar Chips einzusammeln: Ich raiste ein Pocketpaar 8 in später Position. 2 Leute gingen mit und der Flop brachte Pikkönig, Pikzehn und Herzvier. Der Flop wurde durchgecheckt und nachdem beide den Turn (Kreuzneun) ebenfalls checkten, spielte ich ungefähr Pothöhe an. Spieler 1 warf seine Hand weg und Spieler 2 bezahlte. Der River brachte die die Kreuzzwei. Jetzt wettete der andere Spieler plötzlich etwa 1/3 des Pots, er wollte mir allen Ernstes erzählen, dass er einen Flush gemacht hätte. Seine gesamte Körpersprache verriet den Bluffversuch. Ich bezahlte sofort, er zeigte mir 9 8 und damit die bessere Hand, ein Paar 9 gewinnt gegen ein Paar 8 und damit kassierte er den Pot. Hätte ich etwas mehr nachgedacht, wäre dies mein Pot gewesen. Ich war mir sicher, dass er einen Bluff ansetzte, warum in aller Welt habe ich ihn nicht geraist? Seine Karten wären in den Muck geflogen, bevor ich hätte ausatmen können. Bad Play!

Einige Stunden später, von meinen Startjetons in Höhe von 10,000 waren leider nur noch 8,000 übrig, die entscheidende Hand. Ich halte ein Paar Könige in meiner Hand, raise den Blind (300) auf 1.200 und werde vom small blind gecallt. Der Flop bringt As, König, Bube. Der small blind checkt. Da ich ihm keinesfalls eine billige nächste Karte für einen möglichen Strassendraw geben möchte, gehe ich mit 7.800 all in. Er zahlt sofort. Im Showdown zeigt er As, König. Er hat die Top 2 Paar geflopt und ich den Drilling. Meine Chancen das Spiel zu gewinnen und mich aufzudoppeln, sind exakt 90,4 %. Solche Gelegenheiten nimmt man gerne wahr. Der Turn bringt eine 4 und der River…natürlich ein As. Jetzt hat er Full House Asse mit Königen und ich Fullhouse Könige mit Assen. Ciao bella, es war schön mit Dir, nächstes Jahr gibt es ja wieder die Weltmeisterschaft. Show must go on.

Euer Michael