So erlebte ich die World Series of Poker 2005 im Casino Rio in Las Vegas – Teil 5

Michael Keiner
Poker-Experte
E-Mail: laserase@aol.com


Ein Geschäftsfreund aus London, der meine Pokerkenntnisse gerne auf einer Internetseite nutzen möchte, lädt mich zum Dinner ein. Zusammen mit seinen Partnern treffen wir uns im „Roy´s“, einem hawaianischen Restaurant in der Flamingo Avenue. Ich muss zugeben, das Restaurant ist eine echte Sensation. Die Speisekarte weist hauptsächlich Meeresfrüchte auf, die sich angeblich noch morgens munter im Pazifik tummelten. Geschmacklich abgerundet mit Gewürzen und Zutaten, wie ich sie in dieser Zusammenstellung aus keiner anderen Küche kenne, löst das Menü einen wahren Sinnestaumel im Gaumen aus. Ein kleiner Tipp für Freunde der japanischen Küche: Im „Roy´s“ gibt es das beste Sushi, was ich jemals genießen durfte.

Während wir also noch den letzten Bissen unseres Dinners nachtrauern und sich das Meeting ganz erfolgreich gestaltete, kommen die Herrschaften plötzlich auf die Idee, ihre Pokerfähigkeiten unter Beweis stellen zu wollen und fragen mich explizit nach Möglichkeiten, wo dies jetzt am Sinnvollsten zu bewerkstelligen sei. Es ist 23 Uhr 30 und die Aufgabe nicht ganz leicht lösbar. In einem der vielen Casino Pokerrooms würde sich unsere Kleingruppe wahrscheinlich sofort zerstreuen. Während ich überlege, ob ich die Jungs wirklich auf ein Satellite im RIO loslassen soll, kommt mir plötzlich die rettende Idee. Jeden Tag um Mitternacht wird im Plaza Downtown ein Turnier gestartet. Das Buyin von 50 $ wird meine Partner sicher nicht in den sofortigen Ruin treiben, wir könnten als Gruppe mehr oder weniger zusammen bleiben und bei so kleinen Turnieren ist der Spaßfaktor meist deutlich erhöht.

Zocken um Mitternacht im Plaza

Wir kommen auf dem letzten Drücker im Plaza an und als wir zur Anmeldung gehen, sind bereits mehr als 90 Spieler für das Turnier registriert. Meine Geschäftspartner stürzen sich voller Begeisterung sofort auf ihre Plätze, hochmotiviert, dieses Turnier als Anlass für den Start in eine viel versprechende Pokerkarriere zu nehmen. Die Motivation hält dann doch nicht so lange an und während sich innerhalb der nächsten 2 Stunden einer nach dem anderen von unserer ursprünglichen Gruppe aus dem Turnier in Richtung Hotel verabschiedet, türmen sich auf meinem Platz wahre Berge von Chips. Ich habe ne einzigartige Glückssträhne und das ausgerechnet bei dem kleinsten Turnier, was ich in den letzten 10 Jahren gespielt habe. Dabei wollte ich mir diesen Lauf doch für einen WSOP Event aufsparen!!! Morgens um 6 Uhr ist es dann endlich vollbracht: Ich gewinne das Turnier und streiche die sagenhafte Siegprämie von 1.300 $ ein. Ich darf gar nicht dran denken, was die gleiche Portion Glück im RIO bedeutet hätte: Mindestens 300.000 $ in der Tasche und das heiß begehrte „Bracelet“, das Armband der Weltmeister. Que serà…

Ein weiterer Finaltisch

Während der Weltmeisterschaft versuchen natürlich auch die anderen Casinos, ein Stück vom Pokerkuchen abzubekommen. Das Palms veranstaltet eine Turnierserie, Summerfestival genannt und auch im Bellagio wird jeden Tag um 14 Uhr ein No Limit Holdem Turnier gestartet. Mit einem Buyin von 1.000 $ und meistens über 200 Teilnehmern gibt es hier für den 1. Platz satte 80.000 $ als Preisgeld. Auch nicht schlecht… Es zieht mich magisch ins Bellagio, ich liebe dieses Resort. Ein spätes Frühstück im Café Pallio, dessen Ausstattung und Wandgemälde den gleichnamigen Pallio, ein weltberühmtes historisches Pferderennen in Siena/Toskana nachempfindet, ist schon für sich allein einen Abstecher wert. Bellagio ist der italienische Name für „schönes Zeitalter“ und Ausstattung, Architektur, sowie Komfort machen dem Namen in jeder Hinsicht Ehre. Eine wundervolle, verspielt angelegte Pool und Gartenanlage, die viertelstündlich ablaufenden, meist mit klassischer Musik untermalten Wasserspiele im Lake Bellagio und nicht zuletzt die ultrakomfortablen Sessel im Pokerraum sorgen für einen extremen Wohlfühlfaktor.

Im Vergleich zur Weltmeisterschaft ist das Teilnehmerfeld hier doch etwas softer, einige Wagemutige meinen, dass sie jede Hand spielen müssten. Diese Strategie ist bei No Limit Holdem absolut fatal und nach 2 Stunden ist bereits die Hälfte des Feldes ausgeschieden. Ich spiele konservativ und warte auf wirklich gute Hände, da man bei dieser Besetzung praktisch nicht bluffen kann. Außerdem eliminieren sich meine Gegner durch ihre ausgeprägte Spielfreude ständig gegenseitig. Nach nur 6 Stunden erreichen wir den Finaltisch der letzten 9 Spieler, ohne dass ich während des Turniers größere Risiken eingehen musste. Mein Chipstand ist auch in Ordnung, ich liege ca. 10 % unter dem Durchschnitt. Schließlich scheide ich mit einem Pocketpaar 9 gegen 2 Buben als 7. aus. Ärgerlich, aber am Finaltisch fast nicht vermeidbar. Die Pflichteinsätze (Blinds und Ante) sind leider schon so hoch, dass man ein mittleres Paar vor dem Flop kaum noch wegwerfen kann. Als Trostpflaster erhalte ich ein Preisgeld in Höhe von 5.300 $. Insgesamt war ich mit meiner Leistung durchaus zufrieden und so entschließe ich mich, das 2,500 $ buyin Pot Limit Holdem Turnier 2 Tage später im RIO zu spielen.

Duplizität der Ereignisse

Das Pot Limit Holdem Turnier startet pünktlich um 12 Uhr mit 425 Teilnehmern, exakt die gleiche Anzahl wie 2004. Ich hatte eigentlich mit mehr Spielern gerechnet, aber Pot Limit ist im Gegensatz zu No Limit bei den Amerikanern nicht so beliebt und so trifft man neben den amerikanischen Superstars, die fast jedes Turnier der Weltmeisterschaft aufgrund Vertragsverpflichtungen spielen müssen, hauptsächlich auf bekannte europäische Gesichter. Immerhin bekommt man für Platz 1 auch bei dieser Veranstaltung über 300.000 $ und wer möchte sich dieses üppige Honorar schon gerne entgehen lassen?

Diesmal läuft es ausgezeichnet für mich: Ich bekomme vernünftige Karten, alle Bluffversuche verlaufen erfolgreich und 2x zahlt mich ein Mitspieler ohne jede Gewinnchance massiv aus. Als wir noch etwa 150 Spieler sind, bin ich Chipleader des gesamten Turniers. Ich besitze 4x mehr Jetons als der Durchschnitt und wittere schon „Finaltischluft“. Ab 23 Uhr dann wie abgeschnitten: Dreimal hintereinander verliere ich gegen „All in“ Spieler (d.h. wenn er verliert, scheidet er sofort aus dem Turnier aus) mit der wesentlich besseren Hand. Um 3 Uhr 30 früh morgens wird das Turnier gestoppt. Es sind noch 20 Spieler übrig und ich habe etwas mehr an Chips als der Durchschnitt.

Als das Turnier dann am nächsten Tag um 14 Uhr fortgesetzt wird, knüpft meine Durststrecke nahtlos an die letzten 4 Stunden des vorherigen Abends an: Wirklich grausame Karten, ohne die Möglichkeit, irgendwie in das Geschehen eingreifen zu können. Wir sind nach einer Stunde am 2. Tag noch 18 Spieler, die an 2 verbliebenen Tischen verbissen weiterkämpfen. Rechts von mir nimmt Johnny Chan Platz, der mehrfache Exweltmeister, eine wahre Pokerlegende. Man sieht ihn heute nur noch selten Turniere spielen, er bevorzugt das 4.000/8.000 Limit Game im Bellagio. Hier handelt es sich um eine der höchsten Pokerpartien in der ganzen Welt, Schwankungen von 1 Million $ sind völlig normal bei diesem Limit. Johnny versucht sofort die Regie an unserem Tisch zu übernehmen und raist jede Hand vor dem Flop. Beim 5. Mal finde ich As Dame in Pik und komme zu folgender Überlegung: Ich kann natürlich meine Hand erneut brav wegwerfen, jede Konfrontation vermeiden und zu guter Letzt dann als 7. oder 9. ausscheiden. Aber ich bin ja schließlich hergekommen, um Weltmeister zu werden, oder? Also entscheide ich mich für das Reraise und gehe all in. Chan callt ohne Zögern und zeigt mir As König. Ich habe eh nur rund 30%, das Spiel zu gewinnen, als sofort ein König im Flop erscheint und alle meine Hoffnungen in Sekunden vernichtet werden. Ich scheide als 17. aus, exakt die gleiche Position wie 2004 in diesem Turnier. Auch die 8.000 $ Preisgeld können mir nicht das Gefühl nehmen, eine Megachance verpasst zu haben.

Euer Michael