Das Neue Las Vegas

Ein Artikel von Rainer Gottlieb

Wer Las Vegas besucht, ist immer aufs Neue fasziniert von der umwerfenden Architektur und vom stetigen Wandel, der in Las Vegas Programm ist. Große Hotelcasinos, die vor 20 Jahren noch weltweit bekannt waren und als Top-Holiday-Destination mit Shows von Weltrang galten – man denke nur an das Dunes, das Desert Inn und das Stardust – existieren einfach nicht mehr. Gesprengt, abgebaggert, eingeebnet, verschwunden! Her mit dem Platz für Neues!

Es wurde Platz geschaffen für große Casino-Resorts, die mit sogenannten Themenparks glänzen. Der ganze Komplex aus Hotel, Freizeiteinrichtungen, Restaurants und natürlich Casino wird als Gesamtkonzept einem Thema oder Motto untergeordnet.

Diese Entwicklung begann schon früh: Es fing in den späten 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts mit dem visionären Projekt „Caesars Palace“ an, einem Mega-Hotel im Stil des „Roman Empire“: edelster Marmor, römisch inspirierte Statuen, Wasserspiele, piniengesäumte Alleen, lateinisch gestylte Restaurants. Centurios und Schauspieler als Caesar und Kleopatra bevölkern noch heute die Anlage. Wie gesagt visionär.

Doch erst in den späten 80er-Jahren wurden jene visionären Ideen zur Inspiration für die Fortführung eines Trends. Es entstanden das „Excalibur Hotel & Casino“ mit dem Motto „Artussage“ im Stil einer mittelalterlichen Ritterburg. Dann folgten das Südsee-inspirierte „Mirage“, das „Treasure Island“ mit Piraten-Thema, „Luxor“ die riesige schwarze Pyramide mit Ägypten als Motto, „MGM-Grand“ als Las-Vegas-Transformation von Hollywood, „New York-New York Hotel and Casino“ im Stil der Metropole New York.
Mittlerweile hat Las Vegas auch ein
„Monte Carlo“
„Rio“
„Bellagio“ (in Anlehnung an die wunderschöne Stadt am Comer See)
„The Venetian“ (mit künstlicher Piazza San Marco, Kanälen, Gondeln etc.)
„Paris“ (mit Nachbildung von Eiffelturm, Arc de Triomphe, Opernhaus etc.)

Da fragt man sich, was den „Machern“ von Las Vegas, den Immobilientycoons noch einfallen könnte. Bei all‘ dieser „Pracht“ bei diesem verschwenderischem Umgang mit Land, Wasser und anderen Ressourcen muss es doch zumindest thematisch eine Grenze geben.

Nicht endlos können schöne Orte oder Weltstädte bzw. deren Attraktionen kopiert werden. Las Vegas hat sein Bellagio, sein Rio, sein New York, sein Venedig, sein Paris. Damit dürfte dieser Trend erschöpft sein.

Und wenn zwischenzeitlich Immobilien-Mogul Steve Wynn mit dem „Wynn“ und dem „Encore“ den Schwerpunkt auf Super-Luxus gelegt hat, und jüngst mit dem City-Center und dem „Aria“ ein neues Highlight fertiggestellt wurde, so sind die Entwicklungen der letzten 24 Monate auch an der Dauer-Boomtown Las Vegas nicht spurlos vorüber gegangen. Die Wirtschaftskrise hat Sin City erreicht.

Seit mehr als einem Jahr stagniert die Entwicklung. Besucherzahlen in Las Vegas sind drastisch zurückgegangen und viele Mega-Projekte wurden gestoppt, weil Finanzierungen platzten. Bauruinen am Strip zeugen davon, dass es offenbar kein unendliches Wachstum gibt. Und so ist vielleicht das allerneueste Resort-Entwicklungsprojekt genau das, was in diese Zeit passt, was den vergnügungshungrigen Besuchern vielleicht wieder einen Kick verschaffen und neue Scharen an Neugierigen anlocken wird.

Die Fantasie der Las Vegas Tycoons hat eine ganz neue – vielleicht bedenkenswerte – Art von Erlebniswelt, Themenpark und Casino im Blickfeld. Das Motto lautet jetzt nicht mehr LUXUS und VERSCHWENDUNG, sondern KARGHEIT.

Sehr deutlich wird das bei der gerade neu vorgestellten Projektstudie „PRUSSIA PREUSSEN RESORT and CASINO HOTEL LAS VEGAS. Ein Modell des von „Milagro Entertainment Corporation“ geplanten Komplexes ist zurzeit in der Lobby der „Fashion Show Mall“ am Strip hinter dem Treasure Island aufgebaut. Hier gibt es umfangreiche Informationen zum Projekt. Sogar ein virtueller Rundgang mit 3-D-Brillen ist möglich.

In diesem völlig neuen „Freizeit“-Park sollen neuartige Konzepte des „adult entertainments“ angeboten werden. Man plant, militärische Disziplin, strammen Drill und „Pflichterfüllung“ als Freizeiterlebnis anzubieten.
Das geplante Hotel wird im Stil einer preußischen Kaserne eingerichtet:
Die Hotelanlage wird aus drei großen, grauen, schmucklosen, quaderförmigen Unterkunftsblöcken bestehen. Sie umrahmen einen „Exerzierplatz“, größer als drei Fußballfelder, dabei staubtrocken. Weit und breit ist kein Baum zu sehen.
Selbstverständlich wird das Resort nicht am Strip stehen. Das widerspräche dem Konzept. Es soll vielmehr fernab von der glitzernden Lichterwelt entstehen. Entwickelt werden soll ein riesiges Gelände im Niemandsland des Las Vegas Valley, noch fast 4 Meilen westlich vom Orleans Hotel entlang der Tropicana Avenue.

Und so sieht das Konzept aus:

Ankommende Gäste müssen zunächst ein Wachhäuschen mit (selbstverständlich) geschlossenem Schlagbaum davor passieren. Sandsäcke, Stacheldraht und eine bewaffnete Wachmannschaft mit Kontrollfunktion verschaffen einen ersten Eindruck: Vor der Rezeption wartet die Garde der „Langen Kerls“ in Uniform und mit Pickelhaube auf eintreffende Gäste. In militärisch knappem Befehlston wird erklärt, was im „Preußen-Resort“ der Begriff „Urlaub“ bedeutet, wie die „Quartiere“ zu beziehen sind, und wann der erste „Appell“ nach der Ankunft stattfindet.

Auch die Hotelzimmer („Stuben“) sind geprägt von militärischer Einfachheit und Strenge. Sie sind sämtlich absolut gleichförmig eingerichtet. Pro Gast gibt es einen schmalen Schrank („Spind“). Es ist genau vorgeschrieben, wie dieser einzuräumen ist und selbstverständlich kommt sehr zeitnah ein „Spieß“ vorbei, um sich davon zu überzeugen. Die Betten bestehen lediglich aus schmalen Eisengestellen mit harter Matratze, pro Gast liegt eine kratzige Wolldecke bereit.
Auf dem „Exerzierplatz“ findet täglich mehrmals in glühender Hitze für die Hotelgäste die „Prussian-Military-Drill-Show“ statt. Ein Teil der Show heißt „Im Gleichschritt Marsch!“, dann folgt „Sprung Auf! Marsch, Marsch!“, der dritte Teil ist: „Stechschritt! Don’t give up“.
Interessierte Hotelgäste können aktiv an der Show teilnehmen. Bei schlechter „performance“ muss aber mit „Strafexerzieren“ und „Nachdienst“ gerechnet werden.

Entsprechend ausgestattet wird auch das Casino sein: Kargheit als Leitmotiv, die Spieltische sind mit uniformfarbenem Tuch (olivgrün-grau) bespannt, die Schrift – z.B. auf Black Jack-Tischen (im Prussia „17 and four“ genannt) altdeutsch Fraktur (wenngleich englischsprachig). Ebenso preußisch gestaltet werden die Spielchips: Frakturschrift (Nominalwert zwar Reichsmark, allerdings 1:1 Dollar Konvertierung), martialisch-militärisches Chip-Design. Erfreulich, dass die Vegas-übliche Farbkonvention beibehalten werden soll.
Die Croupiers an den Spieltischen tragen deutsche (Fantasie)-Uniformen, Monokel, Pomade im Haar. Es ist auch dort – wie in ganz Las Vegas – üblich, dass jeder Croupier ein Namensschild trägt. Im „Prussia-Resort“ werden den Croupiers bevorzugt Namen wie „Fritz“, „Wilhelm“, „Heinrich“, „Siegfried“, „Günter“, „Jürgen“ und „Horst“ gegeben. Alle sprechen amerikanisch mit übertrieben deutscher Akzentfärbung und rufen „Jawoll!“ wenn ein Spieler seinen Einsatz tätigt. Im Falle eines Gewinns sollen sie „Sieg!“ rufen.
Die in Las Vegas Casinos üblichen Cocktail-Girls werden „Frauleins“ heissen (man darf gespannt sein, wie die deutsche Frauenbewegung darauf reagieren wird), durchweg blond und blauäugig sein und eine gewisse sinnliche „Prallheit“ verströmen. Auf ihren Namensschildern werden fiktive Namen wie „Hildegard“, „Marlene“, „Brunhilde“ und (pikanterweise) „Eva Braun“ stehen.

Selbstverständlich wird es einen Pokerroom geben. Auch er folgt dem Motto „Kargheit“. Auch dort olivgrünes Tuch auf den Spieltischen, die Stühle sind unbequem, sie bestehen aus Stahlrohr mit ungepolsterten Sitzflächen. Nichtsdestotrotz sollen aber durchaus schmackhafte Partien stattfinden. Ein etwas abseits positionierter Tisch wird mit Schauspielern besetzt werden, allesamt gestylt wie preußische Offiziere und mit dementsprechenden Habitus: herrische Gesten und herablassendes Verhalten dem Servicepersonal gegenüber. Nach Bad Beats wird der „glückliche“ Gegner zum Duell herausgefordert und ein Offizier, der „broke“ ist, begeht theatralisch vor den anderen Selbstmord.

Das „Prussia“ wird nur zwei Restaurants bekommen: Im Buffetrestaurant „The Goulaschcanon“ geht es betont militärisch zu: Kellner sind dort nicht zu finden. Die Gäste müssen mit „Essgeschirr“ anstehen und bekommen vom „Küchenbullen“ bewusst karge Portionen in ihre Behälter geklatscht. Wer sich beschwert wird entweder ignoriert, bekommt einen Anranzer vom „Spieß“, oder muss „strafexerzieren“.

Etwas gehobener ist das „Clausewitz“, der „Offiziersclub“: Hier kann nicht jeder eintreten, sondern nur Leute, die sich in entsprechender Weise (d.h. durch ihr Hotel-Buchungsniveau) als „military officers and escort“ registrieren lassen. Allerdings wird man auch hier nicht die sonst in Las Vegas überwältigende amerikanische Gastfreundschaft spüren. Das Restaurant wird zwar ein gewisses Qualitätsniveau anbieten: Die Kellner – die Bezeichnung ist „Offiziersburschen“ – tragen Uniform. Sie geben keinerlei Ratschläge hinsichtlich Essensqualität und empfehlen keinen Wein. Sie erwarten Befehle und bestätigen diese auch mit „Jawoll Herr (Dienstgrad)!“

Integriert in einen Las-Vegas-Hotelkomplex findet der Besucher normalerweise ausgedehnte Poolanlagen mit paradiesischen Palmengärten, die in einen fantastisch grünen Golfplatz übergehen. Nicht so im Prussia: Es ist geplant, dort eine „Tank-Test-Area“ anzulegen, ein riesiges 40 Hektar großes Panzerübungsgelände. Abgesehen von wenigen Krüppelkiefern soll es dort nur Bunkeranlagen, Sandpisten, Schlamm bzw. Staub und zerfurchtes Gelände geben. Die eigentliche Attraktion werden vier alte WWII Patton-, drei Sherman- und ein Königstiger-Panzer sein. Die Tanks sollen für abenteuerlustige Gäste bereitstehen, die dort nach Herzenslust auf quietschenden Ketten durchs Gelände pflügen können. Um die Tanks fahren zu dürfen, ist allerdings ein mehrtägiges Ausbildungsprogramm unter Anleitung eines erfahrenen und erbarmungslosen „Drill-Sergeants“ zu durchlaufen.
Und wen es dennoch nach einem Abstecher in Richtung Strip, zu Licht, Glamour, Style und anderem Entertainment gelüstet, der wird vergeblich auf eine klimatisierte Shuttle-Limousine warten. Er kann sich mit anderen auf die unbequemen Pritschen eines Militär-LKW quetschen. Es gibt nur eine Tour pro Tag in die Stadt. Und unterwegs muss immer damit gerechnet werden, dass der mitfahrende Drill-Sergeant die Passagiere aus lauter Lust am Quälen in der Backofenhitze von Las Vegas einen Reifen wechseln lässt.

Man darf gespannt sein, wie sich dieser Las Vegas Trend weiterentwickelt. Welche Steigerungen sind noch denkbar? Die Immobilienleute beweisen immer von Neuem Fantasie und Ideen, um Gäste in die Stadt zu holen. Die Baumaßnahmen sollen im Sommer 2010 beginnen, die Eröffnung des „Prussia“ ist für den Sommer 2012 mit einem gigantischen „Manöver“ geplant.

Ach und denken sie bitte mit daran, das wir heute schon den 1. April 2010 schreiben!