22.11.2017

Kein Glücksspielparadies

Von Bernd Berberich und Maximilian Kienzerle

Titelbild

Foto: Antoine Taveneaux via WikiCommons / CC BY-SA 3.0

Deutsche Unternehmen bereichern sich an illegalem Glücksspiel, behauptet die Berichterstattung über die „Paradise Papers“. Das Problem liegt aber bei der staatlichen Glücksspielregulierung.

Unter anderem die ARD berichtete jüngst darüber, dass die Recherchen zu den „Paradise Papers“ belegen würden, wie deutsche Banken an illegalem Glücksspiel mitverdienen. Systematisch werde gegen deutsche Gesetze verstoßen. Die Autoren zeichnen dabei in einem juristisch hoch komplexen Themenbereich in groben Holzschnitten ein vermeintlich klares Bild: Wer in Deutschland Glücksspiele betreiben will, brauche dafür eine deutsche Lizenz. Zwar bestünde Streit um die Regeln zum Glücksspiel. Trotzdem gebe es eine geltende Rechtslage: Wer ohne behördliche Erlaubnis in Deutschland Glücksspiel veranstalte, mache sich strafbar. Wer hierbei hilft bzw. Ein- und Auszahlungen von Spielern abwickle, mache sich wegen Beihilfe zum illegalen Glücksspiel und der Geldwäsche strafbar. Dabei wird Hochkomplexes simplifiziert und kein Zweifel daran gelassen, wer gut und wer böse ist. Und damit der Skandal wirklich entrüsten kann, werden die deutschen Behörden gleich mit einbezogen: So sei die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht („BaFin“) über die Problematik seit Jahren informiert, wurde aber bislang nicht aktiv. Stattdessen warte sie auf eine Liste aller legalen Anbieter, an welcher aber das hierfür zuständige Innenministerium in Niedersachsen gar nicht arbeite.

Nur auf den ersten Blick mag verwundern, dass die Berichterstatter an dieser Stelle innehalten und die Keule nicht weiter durchschwingen: Was ist nur mit all den Millionen deutschen Spielern, welche an den dargebotenen Online-Glücksspielen teilnehmen: alle strafbar wegen Teilnahme an illegalem Glücksspiel? Was ist mit den Kommunen, die gegen Wettshops seit Jahren nicht einschreiten, kommt hier keine Strafbarkeit wegen Beihilfe durch Unterlassen in Betracht? Und wie schaut es mit den Medien und Sportvereinen aus: Ist nicht auch Werbung für illegales Glücksspiel zu sanktionieren? Und vor allem: Warum laufen Oliver Kahn und Boris Becker noch frei herum, obwohl beide seit Jahren für große private Sportwetten- und Pokeranbieter werben? Diese Fragen hätten dann aber doch zu sehr offenbart, dass möglicherweise der Teufel im Detail steckt, was allerdings die Lust an der Empörung und damit das Medien-Echo gefährdet hätte. Einen Versuch, mehr Licht in die Thematik zu bringen, ist es aber doch wert.

„Es ist falsch zu behaupten, der EuGH habe die Rechtmäßigkeit eines Internetverbots festgestellt.“

Das Glücksspiel übt seit jeher einen besonderen Reiz auf Menschen aus. Damit Geld zu verdienen, galt lange als verwerflich. Wie alles aber unterliegt auch das Glücksspiel dem dynamischen Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen. Längst ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass sich jeder Veranstalter oder Vermittler von Glücksspielen auf die Berufs- bzw. Dienstleistungsfreiheit berufen kann. Mit anderen Worten ist jede gesetzliche Beschränkung hinsichtlich des Angebots von Glücksspielen rechtfertigungsbedürftig und von den Gerichten zu überprüfen. In der deutschen Glücksspielregulierung ist zudem mittlerweile anerkannt, dass es einen „natürlichen Spieltrieb“ in der Bevölkerung gibt, welcher in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken ist. Das Glücksspiel als solches kann damit längst nicht mehr als „gemeinhin sozialschädlich“ gebrandmarkt werden. Vielmehr dürfen sich die deutschen Bundesländer von Gesetzes wegen berufen fühlen, den natürlichen Spieltrieb in geordnete Bahnen zu lenken.

Absolut einleuchtend erscheint dann auch, dass grundsätzlich eine behördliche Erlaubnis vorliegen muss, damit eine präventive Kontrolle von Glücksspielanbietern sicherstellen kann, dass Jugendschutz gewährleistet und das Entstehen von Wettsucht verhindert wird. Jetzt aber beginnen die Probleme. Für das Online-Glücksspiel gilt von Gesetzes wegen lapidar: „Das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet ist verboten.“ Eine Ausnahme besteht nur für den Eigenvertrieb und die Vermittlung von Lotterien sowie die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten im Internet, wenn näher bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei ist es falsch zu behaupten, der Europäische Gerichtshof habe die Rechtmäßigkeit eines Internetverbots bereits festgestellt. Das Gericht urteilte lediglich, dass vollständige Internetverbote grundsätzlich dazu geeignet sein könnten, legitime Ziele wie Spieler- und Jugendschutz zu erreichen. Die Feststellung, ob diese Ziele aber tatsächlich erreicht werden, ist jedoch allein Sache der nationalen Gerichte.

Und ab dieser Stelle verschwimmen die rechtliche Lage einerseits und die tatsächliche Umsetzung und Lebenswirklichkeit andererseits. Wie konnte sich nur Deutschland zu einem der weltweit größten Online-Casino- bzw. Online-Poker-Märkte entwickeln, obwohl (mit Ausnahme von Schleswig-Holstein) das Gesetz einen solchen Markt zu keinem Zeitpunkt vorsah? Wie kann es sein, dass im Internet seitens eines staatlichen Monopolträgers „Rubbellose“ angeboten werden, obwohl sie eigentlich unter das Internetverbot fallen dürften?

„Die Haushalte der Bundesländer hängen an den Einnahmen der Lotteriegesellschaften.“

Schon 2006 hat das Bundesverfassungsgericht das Grundproblem beim Namen genannt, nämlich wenn der Staat selbst allein als Veranstalter auftreten darf und selbst für seine eigene Kontrolle zuständig ist: „Die Einnahmeeffekte können aber dazu (ver)führen, dass der Staat die Zulassung von Wetten und das Eröffnen von Wettangeboten letztlich im Sinne einer Bewirtschaftung der Wettleidenschaft betreibt, indem die Wetten wie eine grundsätzlich unbedenkliche Freizeitbeschäftigung vermarktet werden.“Dann aber lässt es sich nicht mehr rechtfertigen, dass der Staat versucht, sich „private Konkurrenz“ mit Gesetzen vom Leibe zu halten.

Und hier liegt der Schlüssel zur Frage vergraben, warum einflussreiche Kräfte seit jeher dafür sorgen, dass eine zeitgemäße und zukunftsorientierte Regulierung des Online-Glücksspiels in den Bundesländern verhindert wird: Die Haushalte der Länder hängen an den Einnahmen aus dem Geschäft der Landeslotteriegesellschaften. Zu bequem ist es für Politiker, mit diesen Einnahmen soziale Zwecke zu verfolgen und sich so in einem guten Licht darzustellen. Wenn nun aber das Online-Glücksspiel für private Wirtschaftsteilnehmer vollständig geöffnet würde, wäre erstens unmittelbar damit zu rechnen, dass die Einnahmen der Landeslotteriegesellschaften weiter sinken und, vermeintlich noch schlimmer, zweitens ließe sich das Staatsmonopol auf Lotterien nicht mehr rechtlich rechtfertigen. Die rechtliche Unsicherheit aufgrund faktischer Inkohärenz nimmt man da lieber in Kauf, als mit Althergebrachtem zu brechen.

Es erscheint scheinheilig, diese insoweit bestehende Grauzone zu leugnen. Deshalb ist es nur konsequent, dass Strafverfahren gar nicht erst eröffnet bzw. eingestellt werden, weil unklar bleibt, ob das Fehlen einer deutschen Erlaubnis überhaupt geahndet werden darf. Denn wenn die Dienstleistungsfreiheit und damit EU-Recht verletzt wird, dürfen deutsche Behörden das bloße Fehlen einer deutschen Erlaubnis gerade nicht ahnden, wie der Europäische Gerichtshof erst 2016 festgestellt hat. Es ist deshalb auch nur konsequent, wenn angesichts dieser rechtlichen Unsicherheit Wettshops nicht geschlossen werden und die Sportvereine für private Glücksspielanbieter, die über eine EU-Lizenz verfügen und damit einer rechtlichen Kontrolle unterliegen, werben dürfen. Wie dann aber in dem ARD-Bericht der BaFin unterstellt wird, „seit Jahren über die Problematik informiert [zu sein], aber bislang nicht aktiv“ geworden zu sein, erscheint gleichermaßen fantasievoll wie der Vorwurf, Banken würden Geldwäsche betreiben, wenn sie Transaktionen von besagten Glücksspielanbietern ausführen.

„Man wünscht man sich den Mut der Regierenden, die voranschreitende Digitalisierung nicht nur als Bedrohung anzusehen.“

Und nun, was gilt es zu tun? Wie auf vielen politischen Feldern wünscht man sich den Mut der Regierenden, die Zukunft aktiv und beherzt zu gestalten und die immer weiter voranschreitende Vernetzung und Digitalisierung der Märkte nicht nur als Bedrohung anzusehen, sondern als echte Chance. Deshalb ist es zu begrüßen, dass die Landesregierung in Schleswig-Holstein sich entschieden hat, den 2. Glücksspieländerungsstaatsvertrag, welcher die bisherige, prohibitiv geprägte Rechtslage nur fortgeführt hätte, nicht zu ratifizieren. Stattdessen hat sich Schleswig-Holstein nach dem Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, nach einer tragfähigen, europarechtskonformen Lösung für den gesamten Bereich der Sportwetten einschließlich des Online-Casinospiels zu suchen.

Dies kann nur bedeuten, den gesamten Glücksspielmarkt umfassend neu und zukunftsorientiert zu regulieren. Bei Ausgabe von deutschen Konzessionen ließen sich dann auch ohne Mühe die Einnahmen sachgerecht in Deutschland besteuern. Wenn Deutschland sich endlich davon verabschiedet, das Glücksspiel aus fiskalischen Interessen heraus zu dämonisieren, werden die großen, jetzt schon auf dem deutschen Markt tätigen Unternehmen auch nicht länger vom Ausland aus agieren. Gerade mit zeitgemäßen Regulierungskonzepten, welche von der Lebenswirklichkeit ausgehen, lassen sich „Steueroasen“ bekämpfen.

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