Der alte Mann und der Roulette-Kessel

Saarbrücken · Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen einen Profizocker, der seit vielen Jahren in einem Saarbrücker Spielcasino ein und aus geht. Der gebürtige Serbe wehrt sich gegen die Manipulationsvorwürfe, die zwei ehemalige Mitspieler gegen ihn erhoben haben.

Der alte Mann im blauen Jacket wirkt unruhig. Nervös bewegt er einen kleinen Berg Jetons zwischen den Fingern der rechten Hand, während er mit der geöffneten linken Hand seinen Kopf abstützt. "Doc" nennen Stammgäste und Mitarbeiter der Spielbank am Deutsch-Französischen Garten in Saarbrücken den 79 Jahre alten Miroljub Kastratovic, ein in Serbien geborener, promovierter Zahnmediziner.

Mehrmals in der Woche reist er aus dem Main-Kinzig-Kreis mit Fahrer nach Saarbrücken an. Für zwei, vielleicht drei Stunden am späten Nachmittag sitzt "Doc" dann auf seinem Stammplatz am Roulettetisch. Der Stuhl direkt neben einem Croupier, der die Kugel wirft und den Roulette-Kessel dreht, ist für ihn reserviert. Der Deutsch-Serbe aus Hessen genießt Privilegien. Hier kennt er Geschäftsführer, Saalchefs, Croupiers und das Servicepersonal.

Mit Trinkgeld ist er nicht kleinlich. Für seinen schwarzen Daimler ist vor dem Eingang ein Parkplatz reserviert. Die Verantwortlichen der Spielbank wissen, was sie an dem großzügigen Berufsspieler haben, rollen für ihn den roten Teppich aus. "Doc" bringt Umsatz und angeblich auch Ertrag. Er kommt selten alleine, hat Damen in seiner Begleitung, die auch Geld ausgeben - wahrscheinlich sein Geld. Sogar der Fahrer zockt, vertreibt sich die Zeit am Automaten. Wenn "Doc" setzt, zieht es auch andere Beobachter und Spieler an den Tisch. Manche spielen die selben Zahlen wie er. In der Regel aber mit deutlich geringeren Beträgen.

Für den Mann, der seit Jahrzehnten regelmäßig in Saarbrücken zockt, gelten - wie für einige andere auch - besondere Konditionen. Sein persönliches Limit wurde erhöht - 400 Euro statt 200 Euro pro Zahl sind sein Maximum. 37 Zahlen hat das Spiel. Meist startet er mit kleineren Jetons zu 20 Euro. Wenn es läuft, zückt er Jetons für 100 Euro. Der Mann hat nach eigenen Angaben auch verlieren gelernt. Wahrscheinlich hat der wohlhabende "Doc" im Lauf seiner mehr als 30-jährigen Spielerkarriere am Casino-Standort Saarbrücken schon Millionen verloren, aber auch gewonnen. Angeblich steht er im laufenden Jahr im Plus. An diesem Aprilnachmittag hat der Hesse, der im Gespräch gerne betont, er sei Akademiker, kein Glück. Er verliert, verzieht dabei aber keine Miene. Schätzungsweise 2000 Euro hat er in drei Stunden in Saarbrücken gelassen.

Der Profispieler ist ein so genannter Kesselgucker. Er hat eigene Messpunkte im Roulette-Kessel, schätzt die Geschwindigkeit der Kugel sowie das Tempo des drehenden Kessels. Kurz bevor der Croupier "nichts geht mehr" ruft, das Spiel also absagt, nennt der Kesselgucker seine neun Zahlen. Vier vor und vier hinter der Zahl, von der er glaubt zu wissen, dass die Kugel dort landen wird. Er schiebt dem Croupier seine Jetons hin, lässt setzen. Der Croupier wiederholt die Ansage in sein Mikrofon. Zur Kontrolle. Die Ansage wird aufgezeichnet.

"Doc" hat in Saarbrücken Nachahmer gefunden. Die Brüder S. haben nach eigenen Erzählungen sein Spiel beobachtet und ausgewertet. Der 79-Jährige finanzierte teilweise auch deren Spiel. Er schob ihnen mal 100 Euro, manchmal mehr zu. Das bestätigen die Brüder und ihr Gönner. Dann kam der Eklat. Das Duo forderte mehr, erzählt "Doc", drohte angeblich mit einer Strafanzeige und der Öffentlichkeit, weil er mit Mitarbeitern gemeinsame Sache mache. Die Saalleitung reagierte, erteilte den Brüdern Hausverbot - wegen Störung des Betriebsfriedens und Beleidigung von Personal und Gästen. Einer der Betroffenen erstattete daraufhin Anzeige, der zweite informierte Journalisten. In dieser Woche, so war zu hören, sollen Kriminalbeamte den Anzeigenerstatter vernehmen, ihm auf den Zahn fühlen.

Die beiden Saarbrücker bleiben bei ihrem Vorwurf: Das Spiel werde für "Doc" manipuliert, Unregelmäßigkeiten würden "von oben" gedeckt. Belege oder gar Beweise werden nicht präsentiert. Einige ihrer Behauptungen halten einer ersten Überprüfung nicht stand. So ist "Doc" keineswegs, wie sie verbreitet haben, in anderen deutschen Spielbanken gesperrt. Er verfügt vielmehr europaweit über Einladungen.

Die beiden jetzt ausgesperrten Stammkunden beherrschen, so behaupten sie, unter bestimmten Voraussetzungen das "Kesselgucken". Wenn "Doc" am Tisch sitze, werde aber der Roulette-Kessel langsamer gedreht, die Kugel nicht so hart geworfen. Verlässt er den Tisch, drehe sich der Kessel wieder flotter. Automatische Aufzeichnungen zum Tempo des Kessels widerlegen nach Spielbankangaben diese Vorwürfe. Zudem werde das Geschehen am Roulettetisch von fünf Kameras permanent überwacht. Beim Landesamt für Zentrale Dienste laufen die Übertragungen aus der Spielbank zur Kontrolle durch Finanzbeamte auf. Das Angebot der Spielbankchefs: Sollte der Staatsanwalt Interesse an dem Videomaterial haben, kann er es gerne haben.

"Doc" reagiert sauer auf die Behauptungen seiner Ex-Mitspieler: "Das ist eine Riesenschweinerei. Alles gelogen." Er will einen Anwalt beauftragen, die beiden anzuzeigen. Anwälte haben zwischenzeitlich auch die Spielbank und deren Technikchef E., der Ende des Monats in den Ruhestand geht, eingeschaltet. Die Rede ist von übler Nachrede und Geschäftsschädigung. Profispieler Kastratovic kommt derweil weiter nach Saarbrücken, um in den Roulette-Kessel zu gucken. Er lässt sich bislang das Spiel nicht verderben, offenbart am Rande sogar einen Bluff. Die goldene Rolex an seinem Arm ist ein Plagiat, für kleines Geld auf Ibiza gekauft.

Zum Thema:Spielbanken im Saarland sind Millionengeschäft Die Saarland Spielbanken GmbH ist eine 100-prozentige Tochter der Saarland Sportoto GmbH. Deren Gesellschafter sind das Land und der Landessportverband. 2016 wurde ein Bruttospielertrag (Umsatz abzüglich ausgezahlte Gewinne) von 32,1 Millionen Euro erwirtschaftet. Stärkstes Zugpferd der Spielbanken GmbH ist das Casino im Saarbrücker Deutschmühlental. Mit dem "großen Spiel" (Roulette, Black Jack, Poker) wurden dort 2016 rund 1,5 und mit Automaten 12,6 Millionen Euro erzielt.

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