14.12.2016

Ministerpräsidenten reiten totes Pferd

Kommentar von Christoph Lövenich

Titelbild

Foto: Uutela via WikiCommons / CC BY-SA 3,0

Der Glücksspielstaatsvertrag der Bundesländer taugt rechtlich und faktisch nichts. Daran wird auch seine aktuelle, halbherzige Überarbeitung nichts ändern.

Und sie bewegt sich doch – die Ministerpräsidentenkonferenz? Nach langem Zögern soll jetzt der Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) der 16 Bundesländer novelliert werden. Schon im vergangenen Jahr war die Kritik am GlüStV zu einem unüberhörbaren Chor angeschwollen. Von F.A.Z. bis Süddeutscher Zeitung, über Staatsrechtsprofessoren und Gerichte bis hin zur hessischen Landesregierung lautete das Urteil: Der Vertrag von 2011 ist in dieser Form gescheitert. Die Vergabe von Sportwettenkonzessionen funktioniert nicht und verstößt gegen Europarecht. Zudem verletzt das Glücksspielkollegium als koordinierendes Organ das Grundgesetz und demokratische Prinzipien.

„Platzt der Knoten?“ hat sich Novo vor über einem Jahr gefragt, um nach der Ministerpräsidentenkonferenz im März diesen Jahres feststellen zu müssen: Mitnichten! Auch ein drohendes Vertragsverletzungsverfahren seitens der EU-Kommission, konnte die Regierungschefs der Länder (bzw. die jeweils zuständigen Bürokraten in ihren Ministerien) nicht zum Einlenken bewegen. Jüngst, auf der Konferenz Ende Oktober in Rostock, schlug man auf einmal etwas andere Töne an: Jetzt soll zumindest die – insbesondere nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes – rechtlich nicht mehr haltbare Obergrenze bei den Sportwettenkonzessionen vom Tisch. Mehr als 20 Anbieter, die die Voraussetzungen erfüllen, sollen zugelassen werden.

„Statt sich an die eigene Nase zu fassen, weist man anderen die Schuld zu“

Weitere Aspekte sollen erst einmal nur geprüft werden. Das intransparente, verfassungswidrige und wenig erfolgreiche Glücksspielkollegium könnte eventuell durch eine gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder ersetzt werden, etwa in Form einer Anstalt des öffentlichen Rechts.1 Eine derartige Einrichtung fordert zum Beispiel der Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim, Tilman Becker, seit Jahren. Das wirkungslos verpuffende Totalverbot von Online-Glücksspiel soll ebenfalls auf den Prüfstand. Sein Versagen gesteht man sich allerdings nicht ein. Zu mehr haben sich die Bundesländer nicht durchringen können. Im Gegenteil, in einer Fassung ihres Änderungsentwurfs klingt mehrfach ein Jammern über Gerichtsentscheidungen durch, die ihre Pläne verhagelt hätten. Statt sich an die eigene Nase zu fassen, weist man anderen die Schuld zu. Einsichtsfähigkeit sieht anders aus.

Hessen, unzufrieden mit dem schwachen Ergebnis der Ministerpräsidentenkonferenz, wird künftig für bestimmte Aufgaben des GlüStV nicht mehr zuständig sein; das übernehmen nun weniger reformwillige Länder. Umgekehrt billigt man dem Land ein Opt-Out zu: Falls keine Einigung zustande kommt, darf das Land aus dem Vertrag aussteigen. Das könnte eine kluge Lösung sein: Statt sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen, lieber eine eigene Linie fahren. Auch Schleswig-Holstein war anfangs beim Vertrag nicht dabei, bis der liberale Ansatz der CDU-FDP-Regierung von der neuen Mehrheit (aus SPD, Grünen und SSW) gekippt wurde.

Angesichts der Erfahrungen der letzten Jahre muss man sich ohnehin fragen, wem das Dogma einer bundeseinheitlichen Regelung überhaupt nützt. Die Tendenz zur Vereinheitlichung im deutschen Föderalismus gefährdet an vielen Stellen den Wettbewerb zwischen verschiedenen Lösungen und die Gestaltungsfreiheit der gewählten Landesparlamente zugunsten des Gemauschels von Minsterialbürokratien. Nun machen Online-Casinos nicht vor Landesgrenzen halt. Das gilt auch für die Grenzen zwischen EU-Mitgliedsstaaten, die zwar Gemeinschaftsrecht unterworfen sind, aber Angelegenheiten wie etwa das Glücksspiel nicht genauso regeln müssen und wollen wie ihre Nachbarländer.

„Unwirksame schlechte Regulierung ist das kleinere Übel gegenüber wirksamer schlechter Regulierung“

Die Ministerpräsidenten haben sich bis Ende Juni 2019 eine Frist gesetzt, um eine Übereinkunft zu erzielen. Wieder eine Atempause, oder anders gesagt, eine lange Bank, auf die man die überfälligen Entscheidungen schiebt. Ein EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wäre weiterhin möglich und Erfolg versprechend, liegt aber offenbar aus Gründen politischer Opportunität auf Eis. Währenddessen träumen die Länder weiter von umfassenden Vollzugsmaßnahmen gegen illegale Glücksspielangebote, was im Internetzeitalter schnell an datenschutzrechtliche Grenzen stößt. Ein grundsätzliches Eingeständnis, dass ihre Regulierungswut nur die formale Monopolstellung der staatlichen Lottogesellschaften (samt lukrativen Versorgungsposten für ausgediente Politiker) sichern soll – und nicht die Spielsucht bekämpft –, lässt weiter auf sich warten. Anbieter und Spieler verharren in rechtsunsicheren Schwarz- und Graumärkten, das klassische Lotto verliert weiter an Popularität, Soziallotterien wie Lotterievermittler leiden unter dem Regulierungsdruck.

Dabei sollte eines nicht in Vergessenheit geraten: Unwirksame schlechte Regulierung bedeutet im Vergleich zu wirksamer schlechter Regulierung das kleinere Übel. Ein funktionierender Glücksspiel-Vertrag sowie eine funktionierende, länderübergreifende Glücksspielaufsicht ließen bei den derzeit vorherrschenden paternalistischen Vorstellungen der staatlichen Politik Problematischeres befürchten: Mehr Daumenschrauben als sowieso schon, um private (und gemeinnützige) Anbieter zu gängeln und die Spieler weiter zu bevormunden. Solange die Landesregierungen also mit dem GlüStV ein totes Pferd reiten, können sie dem Bürger nicht so stark die Sporen geben.

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