Wie Wien Las Vegas wird

Wien. Zocken liegt im Trend. Im Speziellen betrifft der Boom die Mutter aller Kartenspiel: Poker. Nicht nur deutsche Sport-Fernsehsender setzen mit ihren regelmäßigen Übertragungen auf die Lust am Bluffen und Taktieren, sondern auch Unternehmer und die Spieler selbst – vor allem in Wien.

„Der Trend zum Poker hat in den vergangenen Monaten alle Bevölkerungsschichten ergriffen“, sagt Peter Zanoni vom Concord Card Casino in Simmering, das, wie sein Hauptkonkurrent, die Poker World in Landstraße, vollmundig von sich behauptet, das größte Poker-Casino Europas zu sein.

„Früher waren die Poker-Spieler eine eingeschworene Gemeinde“, erinnert sich Zanoni. Heute würden sich an seinen rund um die Uhr bespielbaren Tischen Chirurgen, Piloten und Studenten zum Kartenspiel treffen. In die einstige Männer-Domäne dringen zudem immer mehr Frauen ein, deren Anteil in der Szene bereits auf bis zu 25 Prozent geschätzt wird.

Grund dafür ist die explodierende Zahl von Turnier-Spielern. 130.000 davon will Zanoni – der laut eigenen Angaben 40 Prozent des österreichischen Poker-Marktes bedient – bereits im Jahr vor dem großen Boom in seinen Casinos in Wien und Linz empfangen haben. Animiert würden neue Spieler durch die „wahnsinnig spannenden“ TV-Übertragungen. Bei regelmäßig ausgetragenen Turnieren könnten sich auch Anfänger mit einem vergleichsweise geringen Startgeld von 30 bis 50 Euro, und ohne Risiko, Haus und Hof zu verspielen, mit Profis messen. Dreigängiges Menü inklusive.

Nicht nur zum Spaß spielt Poker-Profi Christoph Haller. Der 39-Jährige bestreitet seinen Lebensunterhalt damit und kann, wie er sagt, „sehr gut davon leben.“ Seine Wahlheimat Österreich sieht der gebürtige Deutsche nur selten. „Ich bin im Jahr bis zu zehn Monate auf Achse, spiele Turniere in Las Vegas, Paris oder Helsinki.“ Momentan setzt der studierte Betriebswirt und Mathematiker in Moskau Beträge bis zu 10.000 Euro um.

Ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten hatte er noch nie. „Als ich gemerkt habe, dass ich ein Talent habe, habe ich mir sogar mein Studium mit dem Spielen finanziert.“ Vorteil: Gewinne vom Poker-Tisch muss Haller nicht versteuern.

Dennoch warnt der Profi Anfänger vor überzogenen Hoffnungen. „Man braucht schon ein mathematisches Talent und viel Erfahrung, um davon leben zu können.“ Vor sogenannten Cash Games, also Spielen, wo es nicht um den Turnier-Einsatz geht, sondern das Geld aus der eigenen Brieftasche gezockt wird, rät er dringend ab.

Während die Betreiber von Card Casinos jubeln, dass immer mehr Personen aus dem gigantischen Internet-Poker-Markt den PC mit dem Kartentisch tauschen, sehen andere die Entwicklung mit Sorge.

Betreuer von Spielsüchtigen fürchten, dass der mediale Feldzug des Poker-Spiels – selbst TV-Entertainer Stefan Raab produzierte schon eine Zocker-Show – vom verrauchten Hinterzimmer an die breite Öffentlichkeit eine Welle von Nachahmern nach sich ziehen könnte.

„Ein großer Teil jener, die das tun, bekommen dadurch ernsthafte Probleme“, sagt Ingrid Gruber, Psychotherapeutin der Beratungsstelle für Glücksspiel-Abhängige „As“. Aber sie räumt ein, dass sich der aktuelle Poker-Trend noch nicht niederschlage. „Der Anteil der Kartenspieler unter unseren Klienten ist seit Jahren mit neun Prozent konstant und im Vergleich zu anderen Spielen relativ gering.“

Aber auch das Finanzministerium ist alarmiert. Der Fiskus sieht sich durch die Card Casinos vor allem um Einnahmen aus dem lukrativen Glücksspiel betrogen, denn: Unternehmer wie Zanoni müssen lediglich die gewöhnliche Umsatzsteuer abführen. Noch mehr klagt man jedoch, dass sich Betreiber von Card Casinos darauf berufen, dass Poker kein Glücks-, sondern ein Geschicklichkeitsspiel sei. Um diesen Anschein zu verstärken, so heißt es im Finanzministerium, würden sogar die Regeln des Spiels geändert werden. Auf der Basis von Gegengutachten macht der Staat jetzt ernst: Derzeit sind gleich mehrere Prozesse gegen Casino-Betreiber wegen illegalen Glückspiels anhängig.