Campione unter Schock

Affäre um kriminelle Vereinigung mit Verästelungen ins Tessin

Die italienische Enklave Campione d’Italia hat schon viele Skandale erlebt. Doch die jüngste Korruptions- und Prostitutionsaffäre geht dem Spielbankendorf ans Eingemachte.

Die Verhaftung von Prinz Viktor Emanuel von Savoyen und Campiones Gemeindepräsident Roberto Salmoiraghi hat in der italienischen Enklave eingeschlagen wie eine Bombe. Insgesamt sind ein Dutzend Personen in Italien als mutmassliche Mitglieder einer kriminellen Vereinigung wegen des Vorwurfs der Zuhälterei und Korruption verhaftet worden. Vermögende Spieler – insbesondere aus sizilianischen Mafia-Kreisen – sollen mit «Komplett-Paketen» in die Spielbank von Campione gelockt worden sein.

Mauer des Schweigens

Das 2500-Seelen-Dorf am Luganersee, das einzig über das Tessin erreichbar ist, steht unter Schock. Denn hier leben alle von der Spielbank mit ihren mehr als 600 Jobs. Wegen der Konkurrenz der Spielbanken von Mendrisio und Lugano befindet sich Campione jedoch in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten. Journalisten, die in diesen Tagen die Einwohner um Stellungnahmen fragen, stossen auf eine Mauer des Schweigens. Gross ist die Angst, man könnte die Arbeit verlieren.

Casinogäste logieren im Tessin

Dabei ist Campione Skandale mit dem Casino und Dorfkönig Salmoiraghi, der vor kurzem eine Arztpraxis in Lugano übernommen hat, durchaus gewohnt. Vor zwanzig Jahren trat der ganze Gemeinderat zurück, nachdem die Antimafia-Polizei das Casino geschlossen hatte. Vor zehn Jahren kam das Casino wegen Unregelmässigkeiten einmal unter kommissarische Verwaltung. Salmoiraghi wurde wegen Betrugs zu sechs Monaten Gefängnis bedingt verurteilt, weil er auf Kosten der Gemeinde private Gesellschaften im Casino-Restaurant verköstigen liess. Die Affäre hat auch Ausläufer ins Tessin. Eines der Hotels für die illustren Casinogäste soll das 5-Stern-Haus Swiss Diamond des kosovarisch-schweizerischen Unternehmers Behjet Pacolli in Vico Morcote gewesen sein. Das Hotel wies die Vorwürfe zurück, räumte aber ein, einen Vertrag mit der Spielbank abgeschlossen zu haben. Eigentlich sollte 2006 für Campione mit der Einweihung der neuen, von Stararchitekt Mario Botta erbauten Spielbank ein Jubeljahr werden. Doch der fast vollendete 10-stöckige Mega-Bau – ein 100-Millionen-Franken Projekt – thront bleischwer über dem einstigen Fischerdorf.
Gerhard Lob/Lugano