Psychologische Basisstrategien

Michael Keiner
Poker-Experte
E-Mail: laserase@aol.com


Im vorhergehenden Kapitel habe ich den tighten Spieler charakterisiert, dessen hauptsächliche Motivation darin liegt, am Pokertisch kein Geld zu verlieren. Heute wende ich mich der anderen Seite der Medaille zu, dem loosen Spielertypus. Dieser Spieler liebt Aktion und was ist langweiliger als ständig die Karten in den Muck zu befördern und den anderen Teilnehmern beim Fighten um den Pot zuzusehen? Hier liegt der wahre Ansatz zur Charakterisierung verborgen. Der loose Spieler hat wenig Angst bzw. Respekt vor dem Geld, das er in der Partie riskieren will, sucht Unterhaltung und wichtiger noch, will die Art der Unterhaltung aktiv mitgestalten.

Der loose-passive Spieler

Ein loose-passiver Spieler, im Fachjargon oft auch als „Fisch“ bezeichnet, ist genau der Typ, den wir am Pokertisch suchen, um eine gute Partie zu garantieren. Loose-passiv, die noch dazu viel Geld besitzen und auch bereit sind, es in Pokerpartien zu verlieren, sind leider rar geworden. Ich habe im Laufe der Jahre mehrfach erlebt, das rund um „großeFische“ eine ganze Serie von Livegames konstruiert und inszeniert wurden, nur um den Fisch zu binden.

Manchmal folgt ein ganzer Tross von Berufsspielern solchen Leuten quer durch die Weltgeschichte, nur um vor Ort zu sein, wenn das Ziel der Begierde auf die Idee kommt, etwas pokern zu wollen. Loose-passiv sind extrem leicht in einer Pokerpartie zu entdecken, da sie ständig in irgendeiner Form an den einzelnen Spielen beteiligt sind. Ich habe öfters erlebt, dass diese Menschen an einem voll besetzten Tisch mit 10 Spielern bei 90 % aller Spiele dabei waren.

Von einer grundsätzlichen Regel kann man ausgehen: Loose-passive gewinnen im Verlauf der Partie die größte Anzahl an einzelnen Spielen und verlieren das meiste Geld. Dies ist nur scheinbar ein Widerspruch, da sie oft 4 oder 5mal hintereinander einen Minipot von vielleicht 40 € gewinnen, um dann nur ein Spiel später in einem einzigen Pot 2.000 € zu verlieren. Die Bilanz ist dann bei 6 Spielen 5 zu 1 für den loose-passiv und die finanzielle Rechnung schlägt mit minus 1.800 zu Buche. Diese Überlegung sollte ich bei meiner Strategieplanung mit einbeziehen.

Preflop kann ich bei diesem Spieler kaum eine sinnvolle Aussage über die Qualität seiner Starthand machen. Er callt manchmal mit 8 3 ein Reraise in Pothöhe mit der Begründung, dass seine Hand doch „suited“ war. Loose-passiv lieben Straßen- und Flushdraws und sind bereit hier völlig überzogene Beträge zu zahlen. Einzige Ausnahme preflop: Wenn er selbst die Initiative ergreift und raist, kann ich praktisch immer von einer Top Qualitätshand ausgehen. Ansonsten ist sein Standardmove der Call und ich mache mir erst gar nicht die Mühe, ihm an dieser Stelle des Spiels eine wahrscheinliche Starthand zuzuordnen, es kann de facto alles sein. Auf dem Flop und Turn sieht es ähnlich aus; ich höre fast immer ein Call auf meine Aktion. Der loose-passive baut sein Spiel vorwiegend auf der Phantasie auf, dass die nächste Karte sein Blatt in eine Traumhand verwandelt, wie unwahrscheinlich dies auch sein möge.

Ich will diese Denkweise an einem praktischen Beispiel verdeutlichen.

Ihr habt mit 10 9 suited preflop geraist und seid jetzt mit dem loose-passive am Flop alleine (Heads up). Es liegt Q 9 7 im Board und Ihr spielt an, der loose-passive callt natürlich. Normalerweise sollten jetzt einige Warnlampen angehen und die optimale Strategie wäre, den Pot bis zum River möglichst billig zu halten. Dies ist jedoch die falsche Strategie in Verbindung mit unserem Mitspieler. Er wird Euch auch mit 5 6 callen, da er ja mit einer 8 die Straße machen kann. Die beste Strategie unter Optimierung des Moneymanagements ist konsequentes Anspiel, auch bei marginalen Händen. Lasst Euren Freund seine Draws teuer bezahlen. Natürlich werdet Ihr ab und zu mal einen „Bad Beat“ einkassieren, aber das wird durch die mittelfristige Gewinnerwartung mehr als ausgeglichen. Kommt nur nicht auf die Idee, den loose-passiv auf dem Flop und Turn bluffen zu wollen. Er wird sicher die nötige Phantasie entwickeln, sein Call vor sich selbst zu rechtfertigen. Auf der anderen Seite werdet Ihr oft eine Freikarte für den Turn erhalten, da er seiner Natur entsprechend nur selten die Initiative ergreift. Ganz anders sieht die Situation am River aus. In dem Moment, wo keine weitere „Traumkarte“ die Hand unseres Gegners verbessern kann, macht sich schnell Desillusion breit. Hier bestehen ausgezeichnete Bluffmöglichkeiten unter 2 Voraussetzungen für Euch: 1. Ihr müsst im Verlauf des Spiels eine ungefähre Vorstellung von der Hand des Anderen bekommen haben. 2. Der Bluff muss im Verhältnis zum Pot hoch genug angesetzt werden, mindestens 35 bis 50.

Der loose-aktive Spieler

Genau wie der loose-passiv, liebt auch der loose-aktive Spielertypus jede Form von Aktion. Aber im Gegensatz zum passive ergreift er gerne die Initative und das macht ihn brandgefährlich. Hier setzt sein psychologischer Vorteil ein; er versteht es meisterhaft, Druck auf seine Gegner aufzubauen. Die häufigen Preflop Raises zwingen seine Mitspieler zu Reaktionen, während er selbst der Agitator ist. Seine größte Schwäche liegt darin, dass er oft mit Händen involviert ist, die bestenfalls als marginal zu bezeichnen sind, von denen er sich aber nur schwer zu lösen vermag. Generell haben loose-aktive Spieler ein sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein, sie fühlen sich meist den Mitspielern am Tisch überlegen. Nur wenige beherrschen die Kunst, im entscheidenden Moment den nötigen Respekt für die Hand des Kontrahenten aufzubringen und Verlustbegrenzung durch frühes Aufgeben der Hand zu betreiben. Wenn dieser Spielertypus im Turnier den Finaltisch erreicht, ist er meist Chipleader, viel häufiger scheidet er jedoch schon in der Frühphase aufgrund misslungener Drahtseilakte aus. Berühmte Vertreter dieses Stils sind Daniel Negreanou, Devilfish, Gus Hansen und Phil Ivey.

Der loose-aktive gehört sicherlich zu den schwierigsten Gegnern, die ich am Pokertisch vorfinden kann, es gibt jedoch einige wirksame Waffen gegen ihn.

Sklansky hat in seinem Buch „The Theory of Poker“ einen Mechanismus postuliert, der weltweit unter dem Namen „GAP Prinzip“ bekannt ist. Es beschäftigt sich mit der Qualität meiner preflop Starthände und ist eigentlich nicht schwer zu verstehen. Grundsätzlich müssen meine Starthände um so besser sein, je schlechter meine Position in Bezug zum Button ist. Wenn ich also preflop an einem vollbesetzten Tisch „under the gun“ (direkt links vom Big Blind) A 10 offsuit finde, ist die Hand kaum was wert, sie ist eigentlich nur gut zum wegwerfen, weil ich noch keinerlei Information über die Hände meiner Mitspieler habe. Sitze ich am Button oder einen Platz rechts davon, und alle anderen haben ihre Starthände weggeworfen, ist A 10 auf jeden Fall ein Raise wert.

Das GAP Prinzip sagt nun Folgendes:

Wenn vor mir bereits ein Raise oder Call erfolgte, habe ich erneut höhere Anforderungen an die Qualität meiner Starthände zu stellen und A 10 am Button ist jetzt höchstens ein Call. Jetzt haben wir aber einen loose-aktive Spieler am Tisch und der raist beinahe jede Hand. Sollte ich konsequent das GAP Prinzip anwenden, werde ich mittelfristig kaum noch in der Lage sein, aktiv ins Spielgeschehen eingreifen zu können. In dieser Situation sollte ich mir darüber bewusst sein, dass auch der loose-aktive Spieler langfristig keine besseren oder schlechteren Starthände bekommt als ich. Die logische Schlussfolgerung ist dementsprechend, das GAP Prinzip in der Konfrontation mit ihm zu vernachlässigen. Wenn unser kleiner Tischtyrann also wieder mal sein Standardraise durchzieht, stanze ich A 10 am Button eben nicht, sondern antworte mit einem Reraise. Natürlich geht das manchmal auch schief, denn auch loose-aktive bekommen von Zeit zu Zeit mal eine sehr gute Starthand, aber mittelfristig ist diese Strategie wesentlich erfolgreicher, als immer nur nachzugeben.

Das Gleiche gilt sinngemäß für Flop und Turn, dieser Spielertypus versucht durch konsequentes Anspiel Informationen über die Wertigkeit meiner Hand zu erhalten. Auch hier ist die Vernachlässigung des GAP Prinzips die entscheidende Waffe. Es gibt jedoch eine wichtige Ausnahme: Loose-aktive lieben es, Fallen (Traps) für Ihre Mitspieler aufzubauen. Wenn er Position auf mich hat und den Flop nach meinem Check ebenfalls nicht anspielt, sollten alle Warnleuchten rot aufglühen, da unser Freund wahrscheinlich eine sehr gute Hand hat und befürchtet, mich durch ein Anspiel zu verlieren. Hier ziehe ich sofort die Bremse und schraube die Qualitätsanforderungen an meine Hand für den weiteren Spielverlauf makrkant nach oben. Ansonsten hat sich gegen loose-aktive das Checkraise als äußerst wirksam erwiesen. Ein Beispiel soll dies näher verdeutlichen: Loose-aktiv hat vor dem Flop geraist, nachdem ich mit J 10 suited in früher Position gecallt habe. Unter konsequenter Vernachlässigung des GAP Prinzips calle ich mit meiner Hand sein Raise. Der Flop bringt J 9 5. Normalerweise würde ich jetzt den Flop mit etwa 70 % anspielen, um herauszufinden, wie gut meine Hand ist. Nicht so gegen den Vertreter dieser Spezies. Ich checke, warte auf sein Anspiel und raise ihn mindestens um den dreifachen Betrag. Diese Vorgehensweise würde mir gegen andere Spieler nicht im Traum einfallen, bei ihm ist diese Technik aber überlebenswichtig.

Im nächsten Teil wende ich mich dann dem schwierigsten Spielertyp zu, dem „neutral“.

Euer Michael