Vom Pow-Wow zum Pokertisch

Ein Artikel von Alex Lauzon

Das Mowhawk-Reservat, Kahnawake, liegt am Ufer des St. Laurenz. Die deutsche Übersetzung des Ortsnamens bedeutet: über den Stromschnellen! Gemeint sind die Schnellen, die Jacques Cartier, anno 1534, an der Weiterfahrt ins Gebiet der Großen Seen gehindert haben.

Sie haben diesen Namen, Kahnawake, schon irgend wo gelesen? Sie wissen aber nicht genau wo? Ich kann es Ihnen verraten: einige Pokerseiten im Internet verweisen darauf, dass von genau dort ihre Lizenz stammt. Eine Kleinstatt, die nicht anders aussieht als Zehntausende von anderen in Nordamerika, vergibt weltweite Lizenzen zum Pokern. Sehr geschäftstüchtig!

Nachdem im Indianerreservat eigene Gesetze herrschen, und das ganz offiziell, werden nicht nur Zigaretten steuerfrei verkauft, es wird auch – ganz offen – Poker gespielt.

Indianerfest in bunten Kostümen Jedes Jahr, Anfang Juni, wird in Kahnawake ein großes Pow-Wow gefeiert, ein Indianerfest in bunten Kostümen, mit Tanz, Gesang und dem so typischen Klang der Trommeln. Und was machen die Indianer in der Zwischenzeit? Gute Geschäfte! Sie handeln mit Zigaretten, vergeben internationale Lizenzen, spielen Poker und wer weiß, was sie sonst noch alles tun!

Und gestern saß ich an einem Tisch und hatte eine so herrliche Begegnung, dass ich sie unbedingt niederschreiben muss.

Hold’em, No-Limit, Blinds USD 5/10.

Schon über zwei Stunden hatte ich absolut keine spielbaren Karten zugeteilt bekommen. Wilde Gefechte wurden ausgetragen. All-ins von drei Spielern mit jeweils 10 – 10, J – J und Q – Q im Bunker (im Flop fiel eine 10 und am Turn eine Q). Und völlig passiv saß ich am Rande des Geschehens, passte Spiel um Spiel mit 7 – 2, 9 – 2, 10 – 4 und ähnlichem Müll.

Ich saß am Big Blind und hielt ein völlig wertloses Blatt in der Hand:

6 Pik, 3 Kreuz

Wir waren übrigens elf Spieler am Tisch. Fünf davon schoben zwei USD 5-Chips vor sich hin, mein Sitznachbar, Small Blind, legte sein Stück dazu und dann war ich dran. Keine Frage was ich tat. Ich checkte, natürlich!

Der Flop:

6 Karo, Herz Bube, 3 Herz

Das gefiel mir! Small Blind checkte. Im Pot lagen USD 70. Ich brachte einen Einsatz von USD 50!

Von drei Teilnehmern, mich eingeschlossen, abgesehen, waren alle anderen Indianer. Mutige, aggressive Spieler! Ich war auf eine Erhöhung vorbereitet und überlegte bereits, ob ich mit einem All-in darauf antworten sollte. Doch, natürlich, wenn wir über lange Zeit hinweg kein Blatt vor uns haben, und dann passiert endlich ein kleines Wunder, dann scheint das Schicksal unsere Leiden unbedingt fortführen zu wollen. Spieler um Spieler schob die Karten in Richtung Tischmitte. Fold! Fold! Fold! Ich began, mich zu ärgern.

Endlich, glücklicherweise, der Button ging mit! Cold Call! Vorsichtig! Vermutlich wartete er auf ein Herz, um meine zwei Paare damit zu vernichten. Small Blind verabschiedete sich ebenso wie alle vorherigen Spieler.

Und dann – ich sollte es eigentlich länger hinauszögern, war es doch ein so wunderbarer Anblick – also, es folgte der Turn:

Karo 3

Full House!

Ohne lange zu Überlegen, mich an diesem Pot nicht mehr sonderlich interessiert zeigend, checkte ich! Schließlich wollte ich meinem einzigen Gegnern nicht die Hoffnung auf sein Flush vermiesen!
Doch, siehe da, plötzlich wurde der Mann aktiv! Er setzte USD 200! Wollte er bluffen? Verfügte er über eine 3? Doch nicht etwa J – 3! Nein, davor hatte ich keine Angst, denn mit J – 3 hätte er am Flop bereits kräftig zurückgefeuert!

Nun, ob Bluff, Semibluff oder A – 3 – ich war mir meiner Sache sicher. Ich wollte ihn noch eine weitere Runde im Pot. Nach kurzem Zögern ging ich mit!

Am River fiel:

9 Kreuz

War der vorige Einsatz ein Bluff, würde er schlicht passen! Also, ich musste ihm die Freiheit lassen, einen neuen Angriff zu versuchen. Die Chancen dafür sah ich sehr gut, denn schließlich konnte die gefallene Karte, mit größter Wahrscheinlichkeit, keinem von uns beiden helfen. Und er wusste dies genauso gut wie ich! Ich checkte!

Wortlos schob er USD 300 über die Einsatzlinie!

Noch einmal dachte ich an J – 3 oder gar J – J. Cold Call am Flop, um eine Falle aufzubauen? Nein, das passte nicht zu ihm! 9 – 3? Wie auch immer, mit solchen Zufällen leben wir am Pokertisch. Wenn wir unseren Einsatz verdoppeln können, nehmen wir jedes Risiko in Kauf, dessen Wahrscheinlichkeit weniger als 50% entspricht!

Rund USD 1.500 hatte ich noch vor mir liegen. Ich warf einen Blick auf den Stack meines Gegner. Er entsprach etwa der gleichen Höhe!

Zwar war mein Entschluss bereits unabänderlich gefasst, doch spielte ich meine kleine Show, richtete, mit halb geöffnetem Mund meinen Blick auf einige Zeit zur Decke des Raumes, tiefes Überlegen vortäuschend, überprüfte nochmals meinen Stack, ließ meine Augen zu dem des Gegners wandern – und dann sprach ich es aus: „All-in!“

Mein Gegner zögerte keine zwei Sekunden. „All-in!“, antwortete er kurz entschlossen, schob seinen Stack etwas nach vorne und warf siegessicher eine Karte, offen, vor sich hin. Es war eine 3!

Der allgemeinen Höflichkeit entsprechend, ließ ich ihn nicht lange warten und zeigte mein Full House!

Für einige Augenblicke fiel mein Opponent einer kleinen Verwirrung zum Opfer und führte sein, den vermeintlichen Gewinn genießendes, Lächeln fort. Er sah meinen Kicker, eine 6 und zeigte den seinen, eine 7 – und hatte die zweite 6 im Flop wohl völlig verpasst! Als ich die Enttäuschung in seinem Gesicht sah, tat er mir für einen kurzen Moment wirklich leid! That’s Poker – that’s Live!

Es war schon beinahe 2 Uhr nachts! Vor diesem Pot hatte ich mich bereits entschlossen gehabt, mich sehr bald zu verabschieden. Doch nun – was blieb mir anderes übrig – musste ich noch eine Stunde warten, bis der Besitzer den Laden, immer um 3 Uhr und ohne Verzögerung, dicht machte. Man will ja keinen schlechten Eindruck hinterlassen, einen netten Pot kassieren, das Geld nehmen und weglaufen.

Obzwar mein unglücklicher Opponent nochmals in die Tasche griff und einen Tausender in Chips wechselte, spielte er plötzlich enorm verhalten und vorsichtig. Vermutlich wusste er, dass sich Glück nicht erzwingen lässt und wollte es dem Schicksal überlassen, ob er seine Revanche noch am gleichen Abend genießen konnte. Sie blieb ihm versagt!

Während des Einwechselns der Chips, sprach ich mit einigen Leuten über dieses gewinnbringende Blatt von 6 – 3. Hätte ein einziger Spieler am Tisch auch nur die kleinste Erhöhung gebracht, ich hätte mich, ohne jegliches Zögern, von diesen Karten verabschiedet! Wenn der Flop nichts kostet, dann lässt sich leicht auf ein Wunder warten.

Und Wunder gibt es immer wieder!

Euer Alex Lauzon