Psychologische Basisstrategien

Michael Keiner
Poker-Experte
E-Mail: laserase@aol.com


Im ersten Teil dieser Serie habe ich dargestellt, wie man verschiedene Spielstile mit relativ einfachen Beobachtungsmerkmalen erkennen kann. Was sind nun die besonderen Charakteristika der einzelnen Gruppen, wo liegen ihre Stärken und Schwächen? Wie kann ich meine Beobachtungen praktisch umsetzen und in erfolgversprechenden Spielzügen anwenden? Um dies zu klären, müssen wir die jeweiligen Gruppen etwas genauer unter die Lupe nehmen.

Der tight-passive Spieler

Ein tight-passiver Spieler kommt primär mit der Motivation an den Tisch, bloß kein Geld zu verlieren. Adäquat geht es ihm im Turnier darum, so lange wie möglich auszuharren. Oft wird bei dieser Einstellung das eigentliche Ziel des Spiels, nämlich die Chips der Gegner zu gewinnen, völlig aus den Augen verloren und beiseite gedrängt. Er stellt hohe Anforderungen an die Qualität seiner Starthände, mit denen er bereit ist, freiwillig Geld in den Pot zu legen. Entschließt er sich tatsächlich mal zu einem Raise vor dem Flop, ist als schlechteste Hand AsDame zu erwarten, viel wahrscheinlicher sind jedoch AA, KK oder QQ. In günstiger Position, nahe am Button, kann man vielleicht auch mal ein Raise mit JJ, 1010 oder 99 erwarten, aber damit hat es sich auch schon. Auf dem Flop spielt er seine Karten meist etwas phantasielos und geradeheraus. Liegen z.B. 3 kleine Karten im Flop und der tight-passive Spieler wettet von sich aus, könnt Ihr AsKönig oder AsDame als Starthand schon so gut wie ausschließen. Ein Check-raise von ihm ist fast unmöglich, sollte es doch einmal vorkommen, liegt höchstwahrscheinlich ein Fehler in Eurer Bewertung vor. Wenn dieser Spielertypus auf dem River die Initiative ergreift und anspielt, wäre ein Bluffversuch einem Weltwunder gleichzusetzen. Das bedeutet nicht, dass Ihr seine Wette niemals bezahlen könnt, aber Eure Hand muss schon außergewöhnlich gut sein. Einen tight-passiven Spieler sollte man eigentlich nur mit den stone cold nuts raisen. Die optimierte Strategie gegen einen tight-passiven Spieler sieht etwas so aus: Sollte er preflop raisen, bezahle ich selbst nur mit den oben genannten Händen, ausschließlich mit AA oder KK hört er von mir ein reraise. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein slow play dieser Starthände gegen tight-passiv überhaupt keinen chipwerten Vorteil bringt, und ich mit dem reraise zumindest verhindern kann, dass er mit JJ bis 99 einen Flop sieht, da er solche Paare fast immer ohne Widerstand aufgibt.

Ab dem Flop sieht das Ganze dann schon wieder viel optimistischer aus. Da der tight-passive Spieler hier seine Hände immer schön gerade spielt, eröffnen sich für uns sehr wertvolle Bluffmöglichkeiten.

Checkt er, spiele ich fast immer an, auch wenn ich den Flop überhaupt nicht getroffen habe. Hat er Position auf mich, stelle ich ihm meistens eine Frage in Form einer kleinen Wette, so ca. ¼ bis ½ der Potgröße. Oft gibt er schon zu diesem Zeitpunkt den Kampf ums Spiel auf und sollte er meine Wette bezahlen, weiß ich zumindest, dass er meine Hand zum jetzigen Zeitpunkt höchstwahrscheinlich geschlagen hat. Auch mit einer sehr guten Hand, wie etwa einem gefloppten Drilling oder 2 Paar spiele ich an. Der Grund ist ziemlich simpel. Von einem tight-passiv bekomme ich sowieso nur dann Geld, wenn er ebenfalls getroffen hat.

Eine Sonderform des tight-passiven Typus ist die sog. Calling station. Es handelt sich um einen Spieler, der aufgrund seiner Technik ein ständiges Opfer von Bluffs war. Wurden ihm zu viele Bluffs gezeigt, kann das vorübergehend oder auf Dauer zu einer Trotzreaktion im Sinne von „mit mir nicht mehr“ führen. Vorsicht!!! Mutiert der tight-passiv zur Calling station, solltet Ihr wesentlich sorgsamer mit dem Instrument des Bluffs umgehen. Aber jede Calling station hat auch ihre persönliche Hemmschwelle. Ab einer bestimmten Einsatzhöhe, die zu erbringen ist, überwiegt dann doch wieder die Angst vor dem Geldverlust. Wenn Ihr einmal die Wetthöhe herausgefunden habt, bei der die Calling station den Pot aufgibt, kann der Bluff wieder ins Zentrum der Spielstrategie aufgenommen werden. Umgekehrt ist die Calling station ein unerschöpflicher Fundus, wenn ich mit einer guten Hand Wetten platziere, die klein genug sind, um erneut die vorhin beschriebene Trotzreaktion zu provozieren.

Der tight-aktive Spieler

Ganz anders präsentiert sich der tight-aktive Spieler. Er stellt zwar ebenfalls sehr hohe Anforderungen an seine Starthände, ist dann aber bereit, jederzeit die Initiative zu ergreifen und durch aggressive Spielweise seine Hände zu verteidigen oder zu schützen. Einmal am Spiel beteiligt, versucht er sofort, durch konsequentes Anspiel oder Raise das Kommando zu übernehmen. Ein tight-aktiver Typ blufft zwar relativ selten, aber seine Bluffversuche sind aufgrund seines Tableimages und der starken Präsentation vielfach von Erfolg gekrönt. Die bei Turnieren erfolgreichste Spielstrategie war bis zur Internetrevolution tight-aktiv. Leute wie T.J. Clouthier, Phil Hellmuth jr. oder Dan Harrington sind berühmte Vertreter dieser Spezies.

Sollte es zu einer Konfrontation mit einem Tight-aktiv kommen, stelle ich preflop die gleichen Anforderungen an meine Karten wie bei tight-passiv. AK reraise ich in ca. 30% der Fälle, wenn noch viel Geld nach dem Reraise vorhanden ist. AA und KK reraise ich zu ca. 50% in Abhängigkeit von meinem restlichen Tablestake und meiner Position. Diese beiden Hände können durchaus auch mal ein slow play wert sein, da der tight-aktive Spieler den Flop oft und überzeugend anspielt. Am Flop anspielen reicht meist nicht aus, um ihn aus dem Spiel zu vergraulen, Der Tight-aktiv kennt diese Tricks. Sollte er das Top Paar mit gutem Kicker oder ein Overpair haben, antwortet er mit einem sofortigen Reraise und ich weiß wenigstens, wo ich stehe. Ein erfolgreicher Bluff gegen einen solchen Spieler erfordert meistens eine Wette am Flop, gefolgt von einer entsprechend höheren Wette am Turn. Eine immer noch gute Waffe gegen einen Tight-aktiv ist ein ausgeprägtes Check-raise, aber das empfiehlt sich nur für Leute, die Nerven wie Drahtseile besitzen. Auf jeden Fall sollte ein solcher Spieler mit viel Vorsicht und Respekt behandelt werden, sonst kann es ganz schnell teuer für Euch werden. Wichtig ist auch, dass man bei diesem Duell immer in der Lage ist, sich schnell von seiner Hand lösen zu können. Die Konfrontation mit ihm kostet, sollte es bis zum River gehen, meist den größten Teil des Tablestakes und dann entscheiden nicht mehr Moves und Taktik, sondern nur noch der Showdown und wer hier die bessere Hand hat.

Im dritten Teil der Serie werde ich dann den Gegenpart, den loose-aktiv und loose-passiv Spielertypus vorstellen, bevor ich im vierten Teil den neutral näher analysiere. Im fünften und letzten Teil setze ich mich abschließend mit einigen Sonderformen, nämlich Spieler im Lauf und Spieler on tilt auseinander.

Euer Michael