Gefährliches Slowplay

Ein Artikel von Alex Lauzon

Nicht oft genug kann wiederholt werden, dass Slowplay, also zurückhaltendes Spiel mit dominantem Blatt, all zu häufig kostspielige Verluste nach sich ziehen kann. Dass diesbezüglich auch Weltklassespielern gelegentlich Fehler unterlaufen, zeigt das hier beschriebene Beispiel einer Konfrontation zwischen Doyle Brunson und Stu Ungar.

Es passierte im Jahre 1980, am Final Table der World Series of Poker, traditionsgemäß in Benny Binion’s Horseshoe Casino in Las Vegas ausgetragen. Von damals nicht mehr als 73 Teilnehmern (im Jahre 2005 waren es 5.619) saßen sich Doyle Brunson aus Texas, damals bereits zweifacher Weltmeister, und ein junger Spieler aus New York, Stu Ungar, als letzte Kandidaten um den Titel gegenüber. Brunsons Stack betrug $ 232.500. Stuy Ungar, aufgewachsen im Buchmacher- und Zockermilieu von New Yorks lower East Side, damals bereits bestens als Gin-Rummy-Experte bekannt, verfügte über $ 497.500.

Stu Ungar, World Champion <br>1980, 1981 und 1997 Vor dem Flop wanderten jeweils $ 15.000 in den Pot. Stu Ungar hielt sogenannte „Baby Connectors“ in Händen, 5 und 4 in Pik. Ein Blatt, dessen Spielbarkeit lange angezweifelt worden war. Als Doyle Brunson in den späten Siebzigerjahren sein erstes Buch, „Super System“, veröffentlichte, wurde seine eigene Strategie, mit genau diesem Blatt in No-Limit-Poker den Gegner mit gewaltigem Überraschungseffekt zu vernichten, einer breiten Öffentlichkeit bekannt. In dieser Konfrontation nun, vertraute Brunson auf ein Ass mit 7 als Kicker.

Der Flop kam: A – 2 – 7, Regenbogen – ein Traumflop für Brunson! Außer einem zum Drilling gewordenen Taschenpaar, brauchte er eigentlich nichts fürchten. Ein Ass mit höherem Kicker musste diesen erst paaren, ein Flush war vorläufig ausgeschlossen und ein Straßeneingang war nur einseitig möglich, was, wie wir wissen, für Ungar mit 5 und 4 auch der Fall war.

Mit diesem Monsterblatt wollte sich Brunson seinen Gegner erhalten. Er wollte mehr als die bereits im Pot liegenden $ 30.000. Schließlich war er bereits gewaltig im Rückstand und wollte die Situation nützen, seinen Nachteil entsprechend zu verkleinern. Er brachte einen Einsatz von $ 17.000, gewiss in der Hoffnung eines Calls.

Nun lag es an Stu Ungar zu kalkulieren – und darin war dieser junge New Yorker auch Experte. Davon ausgehend, dass Brunson, aller Wahrscheinlichkeit nach, über ein geformtes Blatt verfügen musste, konnte er nur auf eine 3 zur Straße hoffen. Das ergab vier Outs. Bei 47 unbekannten Karten im Restpaket, entsprach dies einer Chance von weniger als 11 zu 1. Damit war er krasser Außenseiter und der zu erbringende Einsatz von $ 17.000, mit $ 47.000 im Pot, somit einer Quote von rund 3 zu 1 entsprechend, stand in keiner Relation.

Allerdings, Brunson hatte noch mehr als $ 200.000 an Chips vor sich auf dem Tisch liegen. Mit einer 3 am Turn hätte er berechtigten Anlass zur Hoffnung gehabt, Zugriff auf diesen Stack – und den damit verbundenen Weltmeistertitel – zu erlangen. Diesen zukünftigen Einsatz berücksichtend, konnte er Odds von 14 ½ zu 1 kalkulieren; und diese Quote stand in respektabler Relation zur Kaufwahrscheinlichkeit von 11 zu 1. Außerdem, war sein Chipvorteil zu diesem Zeitpunkt bereits dominant genug, dass er sich diesen, kalkulierten, Verlust auch hätte leisten können.

Diese Partie wäre nach einem Viertel Jahrhundert nicht mehr bekannt, wäre nicht eine 3 als nächste Karte auf den Tisch gefallen! Eine Straße für Stu Ungar!

Er setzte $ 40.000. Nach einiger Zeit des Überlegens, tat Brunson genau das, was Ungar auch erwartet hatte. Er erhöhte All-in! Der River konnte ihm nicht helfen (er hätte ein Ass oder eine 7 zum Full House gebraucht) und Doyle Brunson war eliminiert. Stu Ungar kassierte $ 385.000 und nahm sein erstes Bracelet in Empfang, dem später, im darauffolgenden Jahr und ebenso 1997, noch zwei weitere folgen sollten.

Während eines Pokerseminars in Gardena, Kalifornien, das von Doyle Brunson, Mike Caro und David Sklansky abgehalten wurde, gestand Brunson den Fehler ein, der ihm damals in dieser Konfrontation unterlaufen war und ihm womöglich seinen dritten Weltmeistertitel gekostet hatte. Wäre sein Einsatz von $ 17.000 auch nur doppelt so hoch ausgefallen, wären die Odds für Ungar nur mehr bei 7 zu 1, bei einer Kaufwahrscheinlichkeit von 11 zu 1, gelegen. Korrektes Spiel hätte ihn somit zum Passen gezwungen.

Finden wir uns in einer ähnlichen Situation, können wir natürlich nicht immer davon ausgehen, dass unser Gegner entsprechend rechnet. Es kann passieren, und es passiert auch oft genug, dass wir einem leichtsinnigen Opponenten, den der Zufall jedoch begünstigt, zum Opfer fallen. Sind wir in solchem Fall Verlierer?

Nein! Keineswegs! Gewinn und Verlust ergeben sich nicht in einzelnen, sondern in einer Summe von Spielen. Nehmen wir eine Kaufwahrscheinlichkeit, seitens unseres Gegners, von 10 zu 1 und gehen wir von einer Pothöhe von $ 1.000 aus, einen Stack von weiteren $ 5.000 vor uns. Somit ist das Maximum, was unser Opponent gewinnen kann, $ 6.000. Daraus errechnet sich, von der genannten Kaufchance von 10 zu 1 ausgehend, ein maximal rechtfertigbarer Einsatz von $ 600. Setzen wir $ 1.000 und er geht mit, bringt ihm dies – ungeachtet des Ausgangs der Partie – einen Verlust von $ 400.

Auch wenn wir, praktisch gesehen, in Einzelfällen immer wieder geschlagen werden, über längere Zeiträume hinweg betrachtet, sind solche Fehler unserer Gegner jedoch unser Gewinn. Dieses Beispiel und viele andere Punkte korrekt angewandter Strategie sind letztendlich die Erklärung dafür, warum es manche Spieler gibt, die übers Jahr hinweg Gewinne erwirtschaften, während andere – und ich hoffe, es wird für alle Zeiten genügend davon geben – unverbesserlich auf ihr Glück vertrauen und damit unser Spiel finanzieren.

Euer Alex Lauzon