Pokertheorie – locker oder verhalten? [key:FLAGS_ISA]

Ein Artikel von Alex Lauzon

Welches Blatt soll unter welchen Voraussetzungen wie gespielt werden? Jeder Pokerneuling, oft auch der teilweise erfahren Spieler, träumt von der wunderwirkenden Antwort auf diese Frage. In Nordamerika werden unzählige Bücher zu diesem Thema geschrieben. Hunderttausende von Lesern suchen die Antwort auf genau diese Frage, lesen und lesen – und ihr Spiel bleibt das gleiche.

David Sklansky verweist in einem seiner Bestseller, „The Theory of Poker“, schon auf den ersten Seiten auf den großen Fehler in genau dieser Frage, denn so gestellt, kann es keine Antwort geben. Die Frage müsste folgendermaßen lauten: Warum agieren wir unter welcher Voraussetzung wie?

Sklansky ist nicht nur einer der erfahrensten Pokerspieler, er gehört zu den wenigen wirklich respektierten Autoren zum Thema; und jede Bibliothek eines Pokerspielers, auch wenn sie noch so umfangreich sein sollte, wäre absolut unvollständig, ohne den Büchern von Sklansky. David Sklansky ist der Mann, der den Begriff „Pokertheorie“ populär machte.

Warum verweise ich hier so deutlich auf Sklansky? Das ist einfach erklärt: So wie jede Analyse von No-Limit-Poker unumgänglich einen gewissen Einfluss von Doyle Brunson zeigt, jedes Erforschen von Tells, von deutbaren Verhaltensmustern am Pokertisch, seine Referenzen bei Mike Caro findet, so ist jede theoretische Analyse des Spiels, gezwungenermaßen von David Sklansky inspiriert.

Und nun zum Thema: locker oder verhalten!

Noch bevor wir das Spielverhalten der Gegner in Betracht ziehen, bevor wir uns bemühen, ein Tischimage aufzubauen, systematisch Täuschungen einbeziehend, den allerersten Einfluss auf die Dynamik unseres Spiels übt die Ante, der Grundeinsatz, aus.

Der Merksatz: Je höher die Ante desto lockerer die Spielweise; je niedriger die Ante, desto verhaltener das Spiel!

Zum besseren Verständnis, nehmen wir zwei konträre Extreme zur Hand, beginnend mit einem Spiel ohne jeglichen Grundeinsatz (und ohne Blinds). In diesem Fall, könnten Sie so lange Sie möchten am Tisch sitzen, Spiel um Spiel passen, ohne dass Ihnen dadurch Unkosten entstehen würden. Jeder gute Spieler würde ausschließlich auf die chancenreichsten Karten warten. (A-A oder K-K in Hold’em, A – A – K – K, in korrespondierenden Farben, in Omaha, A – A – A in 7-Card-Stud bzw. ein serviertes Full House in Draw-Poker.) Doch was wäre die unumgängliche Konsequenz? Sobald ein Spieler nach endloser Zeit passiven Verhaltens einen Einsatz erbringt, sind sich die Gegner der Qualität seines Blattes bewusst und passen. So gut wie nie käme ein Spiel zustande!

Was wäre das andere Extrem? Nehmen wir Limit-Poker zur Hand. Stellen Sie sich vor, jeder Spieler müsste einen Grundeinsatz in der Höhe eines regulären Einsatzes erbringen. 10 Einsätze liegen im Pot! Ihre Odds sind somit automatisch 10 zu 1. Fast jedes Blatt ließe sich damit spielen. Nachdem die Gegner mit der gleichen Situation konfrontiert wären, brächte dies, im Falle von 10 Spielern, zumindest 8 weitere Einsätze, was einer Quote von 18 zu 1 entspräche. Der Pot hätte von Anfang an ein Volumen, groß genug, um ein Mitgehen mit unwahrscheinlichster Kaufchance bis in die letzte Einsatzrunde zu rechtfertigen. Jedes Spielgeschick wäre eliminiert. In diesem Fall wäre Poker reines Glücksspiel!

Der Grundeinsatz in Hold’em und Omaha (Limit) entspricht 15% des Standardeinsatzes, sofern der Tisch mit 10 Spielern besetzt ist (in jeweils 10 Spielen bringen Sie einmal Big und einmal Small Blind, was mit anderthalb Einsätzen in 10 Spielern korrespondiert, und daher 0,15 Einsätze pro Spiel). Verglichen mit anderen Pokervarianten, und deren unterschiedlicher Antestruktur, entspricht dies dem Durchschnitt. Wenn Sie ein Gewinnblatt mit dem Big Blind als Caller bis zum Showdown spielen, gewinnen Sie 6 ½ Einsätze (2 kleine Einsätze vor und am Flop und jeweils ein doppelter am Turn und River, zuzüglich dem halben Einsatz von Small Blind). Mit diesem Gewinn decken Sie Ihren Grundeinsatz von 40 Spielen und hätten dabei einen halben Einsatz Gewinn.

Bevor wir nun weiter rechnen, wie hoch der Einsatz sein müsste, um in 40 Spielen, was knapp zwei Stunden in Anspruch nimmt, mit einem halben Einsatz Gewinn einen respektablen Stundenlohn zu erzielen, widmen wir uns den beiden Punkten, die ein derart phantasieloses Spiel ohnehin unterbinden. Der erste Punkt wäre, dass wir uns mit den Anfangskarten niemals des Gewinns sicher sein können, selbst A – A verliert gegen einen einzelnen Gegner in mehr als 10% der Fälle – und diese Verluste müssten ebenfalls aufgeholt werden – und A – A ist uns nur einmal in 217 Spielen gewährt, sodass wir auch mit anderen Spitzenkarten, K – K, Q – Q und A – K angreifen müssten, was ein wesentlich höheres Verlustrisiko beinhaltet.

Der wesentlich markantere Punkt ist hierbei jedoch unser Tischimage.
Wie würden unsere Gegner reagieren, spielten wir wirklich nur einmal in zwei Stunden ein Blatt? Selten hätten wir einen Caller und wenn wir einen hätten, dann müssten wir uns sicher sein, dass auch dieser über ein Spitzenblatt verfügt, was unser Verlustrisiko drastisch erhöhen würde.

Obzwar es selbst Weltklassespielern nur gelegentlich gelingt, wirklich perfekt zu spielen, ist genau dieser Punkt, perfekter Poker, unser eigentliches Ziel. Nachdem wir davon ausgehen können, dass eine entsprechende Zahl von Gegner von diesem makellosen Spiel sehr weit entfernt liegt, erhöht sich unser Vorteil um so mehr, je näher wir selbst der Perfektion stehen.

Hielten wir uns ausschließlich an Berechnungen, erscheint Poker als durchaus einfach erlernbares Spiel. Offensichtlich ist es, dass bestimmte Anfangskarten über ein höheres Gewinnpotential verfügen als andere. Simpel ist das Zählen der Outs am Flop und am Turn und der Vergleich mit den Odds und der dadurch bedingten Gewinnerwartung. Selbst wenn wir einen Gegner eines Bluffs verdächtigen, können wir den notwendigen Einsatz in Relation zum möglichen Gewinn stellen und uns entsprechend fragen, ob es einer Wahrscheinlichkeit von 10%, 20% oder 40% entspricht, dass genau dieser Gegner zu diesem Zeitpunkt versuchen könnte, den Pot zu stehlen.

Und trotzdem erscheint es oft so schwer, in diesem Spiel zu gewinnen!

Ich komme auf die spezielle Frage zurück, von der Sklansky schreibt, dass sie unbeantwortbar ist: Welches Blatt unter welcher Voraussetzung wie spielen?

Eine einzelne Konfrontation in Poker ist kein in sich abgeschlossenes Ereignis! Wenn Sie sich für eine bestimmte Taktik entscheiden, dann hängt dies nicht nur von der zu erwartenden Reaktion der Gegner ab, sondern auch von dem Image, dass Sie Ihren Gegnern gegenüber genießen. Sind Sie oft im Pot, gibt es keinen Anlass mit einem Spitzenblatt zurückhaltend zu agieren. Sind Sie selten an einem Pot beteiligt, dann könnte es durchaus gewinnbringend sein, 5 – 4 aggressiv zu spielen!
Kann also geraten werden, mit 5 – 4 zu erhöhen? Nein, keinesfalls! Kann es trotzdem richtig sein, mit genau diesem Blatt anzugreifen? Ja – unter den richtigen Voraussetzungen! Wie lassen sich diese Voraussetzungen beurteilen? Durch bestes theoretisches Verständnis der Fundamente des Pokerspiels!

Spielen Sie gelegentlich online?

Ist Ihnen aufgefallen, dass, wenn Sie in der Lobby nach dem richtigen Tisch suchen, manche davon eine Warteliste von zehn und mehr Spielern anzeigen? Und wodurch zeichnen sich diese Tische generell aus? Durch hohe Pots.

Hohe Pots bedeuten aktive und lockere Spieler!
Das hat, insbesondere im Internet, meist zur Folge, dass das Spielverhalten des Einzelnen von einigen Gegnern durchaus nicht berücksichtigt wird. Daraus folgt, dass Sie an einem solchen Tisch nicht nur regelmäßig ausgezeichnete Odds finden, um Ihre Kaufchancen wahrzunehmen, während die Leichtsinnigen, von der Pothöhe beeindruckt, auf kleine und größere Wunder wartend, den Pot durch ihre Einsätze noch weiter anheizen, sondern auch, dass diese Gambler unter den Pokerspielern keineswegs darauf achten, dass Sie vermutlich sehr selten an einem Pot beteiligt sind. Ihr Einsatz, Ihre Erhöhung, wird nicht zur Abschreckung. Sie kriegen Ihre Beteiligung! (Dass es nicht gelingt, das Feld zu schmälern, ist in diesem Fall keineswegs als Nachteil zu werten, nachdem Sie mit Ihren Spitzenkarten auch einem großen Feld gegenüber Favorit bleiben. Zwar verlieren Sie wesentlich öfter, doch wenn Sie gewinnen, dann gewinnen Sie ordentlich.)

Und nun ein anderer Extremfall: Sie spielen an einem extrem trockenen Tisch. Alle Gegner warten auf Ihr Spitzenblatt. Niemand würde einer Erhöhung folgen, ohne zumindest A – Q, einfarbig, vor sich zu sehen. Solange Sie es nicht übertreiben, lassen sich hier regelmäßig kleine Pots stehlen.

Praktisch jedoch, sind wir selten mit einem der beiden Extreme konfrontiert. Bestenfalls erkennen wir Tendenzen. Um sich diesen Tendenzen entsprechend anzupassen, ist die theoretische Analyse der Fundamente des Pokerspiels nicht nur hilfreich, sondern unumgänglich. Je mehr Zeit Sie dieser Analyse widmen, je mehr Gedanken Sie der Basisstruktur widmen – und ich denke dabei nicht an Tage oder Wochen, sondern an Jahre – desto besser wird sich Ihr Spiel entwickeln.
Einer der wunderbaren Punkte des Pokerspiels ist, dass Neulinge glauben, nach dem Erlernen der Regeln über genügend Verständnis zu verfügen, um gewinnen zu können. Und, dass ihnen entsprechendes Glück gelegentlich auch Gewinne beschert (oder sollte ich besser sagen: gelegentlich ihre Verluste reduziert), bestätigt sie in ihrer Meinung, dass letztendlich alles nur vom Fall der Karten abhinge.

Sollten Sie Fragen oder Anregungen zu diesem Thema haben, lade ich Sie gerne dazu ein, mir zu schreiben: Pokerakademie

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg

Euer

Alex Lauzon