In Campione d’Italia entsteht Europas grösstes Casino

In Campione d’Italia, wenige Kilometer von Lugano entfernt, öffnet demnächst ein neues Casino seine Tore. Es wird das grösste in Europa sein. Die Tessiner Konkurrenz rüstet auf.

Das Gebäude ist so gross, dass sich auf seinen 13 Stockwerken die gesamte Wohnfläche von Campione unterbringen liesse. 3100 Gäste haben in den Spielsälen Platz. Neben diesem gigantischen, 50 Meter hohen Gebäudeblock, wirken Kirchtürme wie Bleistifte, Pappeln wie Federkiele. Das neue Casino der italienischen Exlave Campione d’Italia öffnet nächsten Frühling seine Tore. Von Anfang an war klar, dass der Stararchitekt Mario Botta den 120 Millionen Franken teuren Bau planen sollte. Ein Wettbewerb unter Architekten? Nicht nötig. Nur das Beste war der kleinen Gemeinde am Luganersee gut genug.

Mit Mussolinis Segen

Dank dem Glücksspiel leidet Campione weder an Geldsorgen noch an mangelndem Selbstbewusstsem. Das Casino ist im 700-Seelen-Dorf praktisch der einzige Arbeitgeber. Da die Gemeinde Hauptaktionärin ist, verdient sie kräftig mit. Von den rund 180 Millionen Franken, die das Casino einspielt, geht nach Abzug der „regionalen und nationalen Steuern“ der grösste Teil an sie. Damit ist Campione die reichste Gemeinde Italiens.
Das hat sie Mussolini zu verdanken. Dieser veranlasste 1933 die Wiedereröffnung des 1919 geschlossenen Spielbetriebs. Aus dem zuvor mausarmen Fischerdorf wurde ein mondäner Treffpunkt.

Noch heute verströmt das alte Casino die Noblesse vergangener Zeiten. Die Holzböden riechen nach frischem Wachs, vor den Fenstern hängen schwere Samtvorhänge. An den noblen Spieltischen und im Restaurant sind Anzug und Krawatte Pflicht. VIP-Gäste geben sich die Klinke in die Hand. Italienische Showgrössen wie etwa der Sänger Claudio Baglioni oder der Komiker Fiorello sind im Casino in Campione aufgetreten. Ebenso willkommen ist die Zweitklassprominenz aus dem Fernsehen: Showgirls, Big-Brother-Mitspieler oder Talkmaster.

Das scheint dem Selbstwertgefühl von Marketing-Direktor Alberto Bresciani gut zu tun. Er bewegt sich wie- ein Adliger im Palast. Bolzengerade schreitet er durch die Räume, die Angestellten nennen ihn „Dottore“. Bresciani ist stolz auf sein Haus. „Wir sind das einzige Casino in der Gegend.“

Die anderen sind Spielsalons.»

Im Gegensatz zu Campione strahlt das Casino von Lugano weniger Eleganz aus. Im Raum mit den Spielautomaten ist der Spannteppich fleckig, Zigarettenrauch schwängert die Luft.
Casino Direktor Marco Baranzelli kann auch kaum mit berühmten Namen für sein Haus werben. Trotzdem läuft sein Geschäft gut. Letztes Jahr machte sein Haus 20 Prozeent mehr Umsatz und positionierte sich mit einem Bruttospielertrag von 80 Millionen Franken an dritter Stelle im Ranking der 19 Schweizer Casinos.

Automaten lassen die Kasse klingeln

„Bei uns spielen alle Gesellschaftsschichten – vom Arbeiter bis zum Unternehmen,“ sagt Baranzelli. Sein Haus setze auf ein junges, weniger glamouröses Publikum, das auch mit anderen Angeboten als nur mit dem Spiel Unterhalten werden wolle. Am meisten verdient das Casino mit den Glücksspielautomaten, wo gewöhnlich nicht mit hohen Einsätzen gespielt wird. Der regelmässige Spieler fördert hier den Umsatz, nicht der Einzelne, der an einem Abend viel Geld ausgibt.
Im Hinblick auf die Eröffnung des neuen Casinos in Campipne will Baranzelli sein Haus in Lugano noch mehr auf sein Zielpublikum ausrichten. In den nächsten Wochen eröffnet er in einem leer stehenden Saal eine Disco. Zudem ist ein Strassencafe geplant. Nächstes Jahr will er einen Teil der Glücksspielautomaten durch modernere Modelle ersetzen und die Tischspiele aufstocken.

Auch das Casino Admiral in Mendrisio macht seinen Umsatz hauptsächlich mit Glücksspielautomaten. Letztes Jahr spielten diese zwei Drittel des Bruttospielertrags von 99 Millionen Franken ein. Das Admiral hat eine B-Konzession. Dies bedeutet, dass die Höhe der Einsätze und die Zahl der Automaten begrenzt sind. Trotzdem hat sich das Casino letztes Jahr landesweit an zweiter Stelle hinter Baden, das einen Bruttospielertrag von
100 Millionen erzielte, platziert.

Mendrisio hofft auf A-Konzession

Der grösste Teil der Kundschaft, rund 80 Prozent, stammt aus Italien. Dabei profitiert das Admiral von seiner verkehrsgünstigen Lage nahe der italienischen Grenze und seinem Angebot von 1500 Parkplätzen – so viel wie bei keinem anderen Casino. Trotzdem nimmt Generaidirektor Urs-Holger Spiecker die Konkurrenz ernst. Im Neubau von Campione, das nur 20 Autominuten von Mendrisio entfernt liegt, werden 600 Glücksspielautomaten stehen viermal so viele wie in Mendrisio. «Mit diesem Angebot können wir derzeit unmöglich konkurrenzieren», sagt Spiecker. Er hofft deshalb, dass der Bundesrat bei der nächsten Überprüfung der Casino-Konzessionen im Herbst 2006 seinem Haus eine A-Konzession erteilt. Dann könnte er so viele Automaten aufstellen, wie er will.

Mindestens in einem Punkt jedoch wird Campione den Schweizer Casinos immer einen Schritt voraus sein: Das italienische Gesetz kennt weniger strenge Auflagen bei der Zulassung von neuen Glücksspielautomaten. Bis in der Schweiz ein neuer Typ zugelassen wird, braucht es langwierige Kontrollen. Deshalb kommen die neusten Maschinen zuerst nach Italien. In Campione setzt man bewusst auf Innovationen. Für den Neubau kaufte die Geschäftsleitung 32 Automaten des Typs Star Wars – ein interaktives Glücksspiel, das auf der Handlung des gleichnamigen Films aufbaut. In Grossbritannien ist das der letzte Schrei. In der Schweiz ist dieser Typ noch nicht zugelassen. Mehr noch als auf bunte Automaten verlässt sich Campione aber auf seine Stammkundschaft. Darunter sind auch arabische Prinzen, die im Separee gut und gerne mal wo 100.000 Franken pro Abend verspielen.

Quelle: Tages Anzeiger von Anna Imfeld, Campione d’Italia