Urteil des BVerwG vom 01.06.2011 – BVerwG 8 C 5.10; Das Werbe- und Vertriebsverbot von Glücksspielen im Internet gem. § 4 Abs. 4 und § 5 Abs. 3 GlüStV ist verfassungs- und europarechtskonform

Rechtsanwalt Dr. Manfred Hecker
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
CBH - Rechtsanwälte
Bismarckstr. 11-13
D - 50672 Köln
1. Zum Sachverhalt

Bei dem Urteil – 8 C 5.10 – ging es um eine Klage gegen die Untersagung der Veranstaltung und Vermittlung von öffentlichen Glücksspielen über das Internet und der diesbezüglichen Internetwerbung, soweit eine Abrufmöglichkeit vom Gebiet des Freistaats Bayern eröffnet war. Der Kläger ist Inhaber einer von den damaligen Behörden der noch nicht aufgelösten DDR erteilten Gewerbegenehmigung zur Eröffnung eines Wettbüros für Sportwetten ab 01.05.1990. Im März 2009 untersagte die zuständige Behörde dem Beklagten die Veranstaltung oder Vermittlung des öffentlichen Glücksspiels über das Internet in Bayern. Das Verwaltungsgericht hatte die Klage abgewiesen. Dem BVerwG ist an das Verfahren im Wege einer Sprungrevision zugeleitet worden.

2. Klärung einiger Zweifelsfragen

Die Entscheidungsgründe schaffen gegenüber den im November letzten Jahres ergangenen drei Urteilen des Senats in verschiedenen Punkten eine deutliche Klärung.

Zum einen wird die Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 1 Satz 2, § 4 Abs. 4 und § 5 Abs. 3 GlüStV für verfassungsgemäß und europarechtskonform erklärt. Dabei hat der Senat ausdrücklich betont, dass er die von der Vorinstanz vorgenommene Auslegung und Anwendung des als Landesrecht im Revisionsverfahren nicht mehr überprüfbaren GlüStV und des dazu erlassenen Bayerischen Ausführungsgesetzes zugrunde zu legen hat.

3. Internetverbot nicht monopolbezogen

Im Einzelnen wurde ausgeführt, dass die in § 4 Abs. 4 und § 5 Abs. 3 GlüStV normierten Internetverbote nicht an die Regelung über das staatliche Glücksspielmonopol anknüpfen und damit nicht „monopolakzessorisch“ sind (UA S. 8 Rn. 12). In aller Deutlichkeit hat das BVerwG betont: „Würden die das staatliche Monopol des Veranstaltens von Sportwetten regelnden Vorschriften, wie der Kläger erhofft, vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig und nichtig erklärt werden, oder dürften sie aus unionsrechtlichen Gründen wegen Verstoßes gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) nicht angewendet werden, würde das die (Weiter-) Geltung der Internetverbote nicht beseitigen. Die mit dem Internetverbot verfolgten Zwecke (Bekämpfung der Wettsucht, Kontrolle des Jugendschutzes und Sicherstellung der Ziele in § 1 GlüStV) würden auch dann nicht entfallen, wenn die im Glücksspielstaatsvertrag enthaltenen Vorschriften über das staatliche Monopol wegfallen würden“ (UA S. 9 – Ende der Rn. 12). Ausdrücklich offen gelassen hat der Senat damit die Frage, ob die Ausgestaltung des Sportwettenmonopols in Bayern den verfassungs- und unionsrechtlichen Anforderungen genügt (UA Rn. 13).

4. Verfassungsrechtliche Vereinbarkeit des Internetverbots

Die verfassungsrechtliche Prüfung an Hand der Normen des GG hat der Senat bei Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG angesiedelt und hier die Gesetzgebungskompetenz der Länder bejaht (UA Rn. 19). Die materiell-rechtliche Überprüfung der Norm über das Verbot der Veranstaltung oder der Vermittlung von öffentlichen Glücksspielen im Internet erstrecke sich auf Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG und insbesondere auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (UA Rn. 20-29). Interessant ist dabei im Rahmen der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG die Bemerkung des Senats zur Frage, ob in Niedersachsen alte Erlaubnisse für Spielbanken aus der Zeit vor Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags fortbestehen und den Internetvertrieb von Glücksspielen gestatten. Der Senat hat hierzu eine nähere Prüfung abgelehnt: „Denn es handelt sich dabei um (mögliche) Rechtsfolgen aus bestandskräftigen Bescheiden außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Beklagten. Daraus kann der Kläger keine Verpflichtung des Beklagten herleiten“ ( UA Rn. 25). Eine länderübergreifende Kohärenz ist in diesem Zusammenhang offenbar vom Senat verneint worden.

Verstöße gegen Art. 3 Abs. 1 GG infolge der Regelung in § 12 Abs. 2 GlüStV für Veranstaltungen, die traditionell in Verbindung mit dem Fernsehen präsentiert werden und bei denen es vorrangig um die gemeinnützige Verwendung der Reinerträge geht („Sozial-Fernseh-Lotterien“) hat der Senat ebenso verneint (UA Rn. 26), wie hinsichtlich des § 8 Rundfunkstaatsvertrag, der die Zulässigkeit von Gewinnspielen im Rundfunk unter bestimmten Einschränkungen gestattet (UA Rn. 27). Bemerkenswert ist, dass das BVerwG – wie bereits in der Vorentscheidung vom 24.11.2010 (wir berichteten) – für die sog. Fernsehgewinnspiele deutlich den Unterschied zwischen den nach RStV ohne weiteres zulässigen Gewinnspielen und den uneingeschränkt den Normen des Glücksspielstaatsvertrages unterfallenden Glücksspielen hervorhebt: „Soweit Rundfunkgewinnspiele nach § 3 GlüStV als Glücksspiele einzuordnen sind, sind sie daher ebenso erlaubnispflichtig, und von denselben Erlaubnisvoraussetzungen abhängig, wie die übrigen dem Glücksspielstaatsvertrag unterfallenden Spiele; auch für sie bestehen die Internetverbote des § 4 Abs. 4 und § 5 Abs. 3 GlüStV“. Die im Rundfunk und insbesondere im Fernsehen umfangreich beworbenen und angebotenen „Mitspielofferten“ dürften danach überwiegend kritisch zu beurteilen sein. Eine weitere Duldung könnte unter dem Aspekt des strukturellen Vollzugsdefizits, das der Senat im Zusammenhang mit den Pferdewetten kritisch hinterfragt (UA Rn. 41 ff), bedenklich sein.

Auch bezüglich § 25 Abs. 6 GlüStV verneint der Senat einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG. Die in dieser Norm den Ländern eröffnete Möglichkeit, den Veranstaltern oder Vermittlern von Lotterien (§ 4 Abs. 3 S. 1 GlüStV) befristet auf ein Jahr die weitere Nutzung des Internets für diese Zwecke vorübergehend zu gestatten, ist zulässig. Denn mit dieser speziellen Übergangsregelung werde aufgrund von Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten der Rechtsposition gewerblicher Spielvermittler Rechnung getragen, die bislang weit überwiegend im Internet tätig waren. Das deutlich geringere Suchtpotential bei Lotterien rechtfertige es, eine derartige Übergangsregelung auf Lotterien zu beschränken (UA Rn. 28).

Von Bedeutung ist die Aussage des Senats: „Vom Kläger angeführte Ungleichheiten in den Glücksspielsektoren, die vom Bund geregelt sind, sind im vorliegenden Zusammenhang ohne Relevanz, da Art. 3 Abs. 1 GG jeden Gesetzgeber nur in seinem eigenen Kompetenzbereich bindet“ (UA Rn. 29). Eine Gesamtkohärenzbetrachtung gibt es demnach im Rahmen des deutschen Verfassungsrechts nicht.

5. Die unionsrechtliche Überprüfung der Internetverbote

Der Senat sieht in den Internetverboten eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union (UA Rn. 31). Er hält diese aber für zulässig, weil die beschränkende Regelung mit dem Diskriminierungsverbot vereinbar und im Übrigen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt und geeignet sei, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Zieles zu gewährleisten. Zudem gehe sie schließlich nicht über das hinaus, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich sei (UA Rn. 32 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH seit Rs. C 55/94 – Gebhard – Slg. 1995, Rn. 34 I-04165).
Ausdrücklich betont der Senat, dass die Internetverbote unionsrechtlich legitime Gemeinwohlziele (eben die Zwecke in § 1 Nrn. 1 bis 4 GlüStV) dienten (UA Rn. 34).

Unter Übernahme der Rechtsprechung des EuGH hat das BVerwG dann geprüft, ob die Eignung der Internetverbote „zur Erreichung der mit ihnen verfolgten Gemeinwohlzwecken in systematischer und kohärenter Weise beitragen“ (UA Rn. 35).
Von besonderer Bedeutung sind hier die Darlegungen des BVerwG zum Inhalt und zur Reichweite des Kohärenzgebots. Das Kohärenzgebot wird zwar nicht nur auf die Rechtfertigung staatlicher Glücksspielmonopole erstreckt, sondern auch auf die Rechtfertigung von Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit schlechthin (UA Rn. 35). Es werden allerdings zwei – einschränkende – Anforderungen für dieses Kohärenzgebot entwickelt:
Zum einen muss nach Auffassung des BVerwG der jeweilige Mitgliedstaat die Gemeinwohlziele, denen eine die Dienstleistungsfreiheit beschränkende Regelung dienen und diese legitimieren soll „im Anwendungsbereich der Regelungen auch tatsächlich verfolgen“ (UA Rn. 35 – S. 18). Es ist damit eine widerspruchsfreie, echte Zielwahrnehmung durch den Mitgliedstaat erforderlich. Diese Gemeinwohlziele entsprechen nach Ansicht des Senats durchaus den in § 1 GlüStV aufgeführten Zwecken.

Die zweite Anforderung besteht darin, dass „die in Rede stehende Regelung nicht durch die Politik in anderen Glücksspielsektoren konterkariert werden“ darf (UA Rn. 35 – S. 18). Einem Uniformitätsgebot in dem Sinne, dass der Mitgliedstaat verpflichtet sein soll, in sämtlichen Glücksspielsektoren dieselbe Politik zu verfolgen, erteilt das BVerwG unter Hinweis auf die EuGH-Rechtsprechung allerdings eine deutliche Absage. Ebenso bedarf es keiner Optimierung der Zielverwirklichung. In diesem Zusammenhang weist das BVerwG ausdrücklich darauf hin, dass nach der verfassungsmäßig vorgegebenen bundesstaatlichen Gliederung in der Bundesrepublik Deutschland verschiedene Gesetzgebungskörperschaften bestehen, deren eigene Gesetzgebungsautonomie zu wahren ist. „Jedoch dürfen in anderen Glücksspielsektoren – auch wenn für sie andere Hoheitsträger desselben Mitgliedstaats zuständig sind – nicht Umstände durch entsprechende Vorschriften herbeigeführt oder wenn sie vorschriftswidrig bestehen, strukturell geduldet werden, die – Sektoren übergreifend – zur Folge haben, dass die in Rede stehende Regelung zur Verwirklichung der mit ihr verfolgten Ziele tatsächlich nicht beitragen kann, so dass ihre Eignung zur Zielerreichung aufgehoben wird“ (UA Rn. 35 am Ende – S. 18 und 19) – unter Hinweis auf die EuGH-Urteile in den Sachen Markus Stoß und Carmen Media).

6. Subsumtionsschritte des BVerwG

Ausgehend von diesem Ansatz überprüft das BVerwG dann in der genannten Entscheidung, ob das Verbot, Glücksspiele im Internet anzubieten oder zu vermitteln (§ 4 Abs. 4 GlüStV) einem derartigen Kohärenzgebot entspricht. Es hat festgestellt, dass dieses Verbot „widerspruchsfrei auf die Verwirklichung der damit verfolgten Ziele ausgerichtet“ ist (UA Rn. 36). Zugleich hat das BVerwG betont, dass die angegebenen Ziele auch tatsächlich die verfolgten, also echte, widerspruchsfreie Ziele sind.

Auf der zweiten Ebene hat das BVerwG festgestellt, dass „die Erreichbarkeit der verfolgten Ziele nicht durch andere Regelungen und deren tatsächliche Handhabung konterkariert“ wird (UA Rn. 36). Seine Prüfung konnte der Senat darauf beschränken, dass das Internetverbot nicht nur für Sportwetten, sondern für sämtliche Glücksspielarten gilt, für welche die Länder die Gesetzgebungskompetenz haben (§ 2 GlüStV).
Auf die Automatenspiele bezogen, die der Gesetzgebungskompetenz des Bundes unterliegen, hat der Senat die Irrelevanz betont, da diese jeweils die körperliche Anwesenheit des Spielers voraussetzten. Für den Bereich der Pferdewetten hat der Senat die Prüfung angestellt und im Ergebnis verneint, dass die Erreichung der mit dem Internetverbot des Glücksspielstaatsvertrages verfolgten Ziele nicht konterkariert würden (UA Rn. 36).

Ausdrücklich hat der Senat betont, dass durch ein Vollzugsdefizit im Bereich der Pferdewetten (die Verwaltungspraxis der Bundesländer schreitet gegen die Annahme und Vermittlung von Pferdewetten im Internet nicht ein) die Eignung des Internetverbots im gesamten sonstigen Glücksspielbereich nicht konterkariert. Denn gemessen am sonstigen Glücksspielbereich ist der Bereich der Pferdewetten – sogar unter Einschluss des tatsächlich verbreiteten Internetgeschäfts – geringfügig, „so dass nennenswerte nachteilige Rückwirkungen auf den vom Glücksspielstaatsvertrag geregelten Glücksspielmarkt praktisch ausgeschlossen sind“ (UA Rn. 42). Auch den Gesichtspunkt, dass „das Angebot an Pferdewetten sich an einen im Wesentlichen abgegrenzten Kreis von fachkundigen Interessenten richtet, es sich also um einen weitgehend verselbständigen Markt handelt“, hat das BVerwG herausgestellt (UA Rn. 42 am Ende).

Das Wichtige an dieser Überlegung des Senats ist, dass sich eine Kohärenzprüfung nicht mehr allein darauf erstreckt, ob in anderen Glücksspielsektoren (hier ist insbesondere das Automatenspiel zu nennen), allein vom Tatsächlichen her das Angebot expandiert ist. Es ist zusätzlich in einem zweiten Schritt zu untersuchen, ob diese etwaige Expansion dazu führt, dass das Staatsmonopol oder das Internetverbot zur Verwirklichung der in § 1 GlüStV genannten Kardinalziele tatsächlich nicht mehr beitragen können, so dass ihre Eignung zum Zwecke der Zielerreichung fortfällt. In allen noch bei den Verwaltungsgerichten anhängigen Verfahren werden die Gerichte nunmehr diesen wichtigen Schritt noch zu überprüfen haben.

Der Senat hat schließlich herausgearbeitet, dass auch Pferdewetten über das Internet nicht angeboten oder vermittelt werden dürfen. Eine Buchmachererlaubnis, die für das gewerbsmäßige Abschließen oder Vermitteln von Pferdewetten erteilt werden könne, umfasse dies nicht (UA Rn. 37).

Einen relativ breiten Umfang nehmen die Darlegungen zur Frage der fortlaufenden Rechtswirkung der nach dem Gewerbegesetz der DDR erteilten Sportwettenerlaubnis ein (UA Rn. 45 bis 53). Der 8. Senat führt die Rechtsprechung des 6. Senats BVerwG (BVerwGE 126, 149 (Rn. 52 ff.) fort, wonach die nach dem Gewerbegesetz der DDR erteilten Gewerbeerlaubnisse sich nur auf das Gebiet der ehemaligen DDR beziehen und in den alten Bundesländern keinerlei Befugnisse einräumen.

7. Zusammenfassung

Das Urteil schafft Rechtssicherheit insofern, als die Rechtsgrundlagen für Untersagungsverfügungen bzw. für Erlaubnisversagungen im Zusammenhang mit dem Vertrieb oder der Bewerbung von Glücksspielen im Internet weder als verfassungswidrig noch als europarechtswidrig eingestuft werden. Zudem wird die Kohärenzprüfung durch eine weitere Ebene angereichert, auf der im Rahmen der „Konterkarierungsbetrachtung“ bzw. einer „Folgenabwägung“ zu prüfen ist, ob Vorschriften aus anderen Glückspielsektoren zur Folge haben, dass die die Grundfreiheiten beschränkenden Regelungen ihre Eignung zur Zielerreichung verlieren (vgl UA Rn 35 am Ende). Schließlich wird die Rechtmäßigkeit des gesetzliche Internetverbots eindeutig bestätigt.

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