Achillesferse Werberecht

Über das Hinken des Glückspieländerungsstaatsvertrages

Betrachtungen von Rechtsanwalt Boris Hoeller

Sie behaupten, einen „neuen Regelungsansatz gewählt“ zu haben, den „zielorientierten, prozedural ausgestalteten Ansatz„. Von „detaillierten materiellen Verboten„, so die Charakterisierung der Werberegeln des geltenden Glücksspielstaatsvertrages, will man künftig nichts mehr wissen. Deutschlands Glücksspielgesetzesmacher offenbaren ihre Vorstellungen für das geplante geänderte Werberecht der neuen Landschaft des Lotteriestaatsmonopols – und demaskieren sich.

Damit muss jetzt Schluss sein!“ – viele Lottobosse wetterten über ihre zahlreichen Verurteilungen wegen verbotswidriger Werbung oder als gesetzeswidrig festgestellter Vertriebsmethoden. Als Spielsuchtpräventionator, Kanalisator und Beschützer der Jugend und Schwachen macht es sich nicht gut, als „Gesetzesbrecher“ da zu stehen. Doch gemeint war nicht ein Ende für die Anreiz-Werbung, mit der man bundesweit mehr schlecht als recht Wochenumsätze von nur noch 100 Millionen € im Lotteriesektor halten konnte. Gemeint war das Werberecht für das Glücksspiel als solches.

Das Festhalten am staatlichen Glücksspielmonopol hatte einen hohen Preis. „Werbung für öffentliches Glücksspiel hat sich zur Vermeidung eines Aufforderungscharakters bei Wahrung des Ziels, legale Glücksspielmöglichkeiten anzubieten, auf eine Information und Aufklärung über die Möglichkeit zum Glücksspiel zu beschränken“ lautet das Gesetz und befolgte damit eine Vorgabe des Bundesverfassungsgericht aus 2006. Das hatte sogar ausdrücklich Kritik an dieser Vorschrift nach deren Inkrafttreten zurückgewiesen: Die in § 5 Abs. 1 bis 4 GlüStV normierten Werbeverbote und Werbebeschränkungen seien erforderlich, um die mit dem Staatsvertrag angestrebten Ziele – namentlich die Verhinderung und Bekämpfung der Glücksspielsucht – zu erreichen. Einer Ausweitung der Spielleidenschaft könne durch das Verbot unangemessener und unsachlicher Werbung, die zur Teilnahme am Glücksspiel auffordert, anreizt oder ermuntert und damit die Glücksspielsucht fördert, entgegengewirkt werden. Alternativen zu den Werbeverboten seien nicht ersichtlich, zumal es widersprüchlich wäre, zunächst appellative Formen der Werbung zuzulassen, um anschließend die hierdurch geförderte Spielleidenschaft der Bevölkerung begrenzen zu wollen (BVerfG, 1 BvR 928/08 vom 14.10.2008, Absatz-Nr. 47).

Das so in verfassungsrechtlichen Zement gegossene Fundament für das staatliche Glücksspielmonopol bröckelte auch europarechtlich nicht. Einzige, aber durchschlagende Kritik: Man hält sich bezogen auf die „staatliche Spähre“ in der Praxis nicht an die Regelung. Nie gab es so viele gerichtlich festgestellte Verstöße gegen die gesetzlichen Werbeverbote durch die staatliche Lotteriesphäre, wie unter der Geltung des Glücksspielstaatsvertrages. Ohrfeige für die deutsche Glücksspielaufsicht, der damit das strukturelle Vollzugsdefizit anlastet.

Doch anstatt die „Vorgaben an die Werbung für öffentliches Glücksspiel, die in Einklang mit den Anforderung der Suchtbekämpfung und des Spielerschutzes stehen“ – so noch die eigene Gesetzesbegründung zum Glücksspielstaatsvertrag – durchzusetzen, suchte man nach einer anderen Lösung, um das Problem künftig in den Griff zu bekommen. Das offenbar avisierte Ziel: Den Sinkflug des Umsatzbringer Jackpotlotterie beenden, neue Potenziale erschließen, endlich wieder neue Kunden gewinnen und diejenigen zu binden, die sonst nur gelegentlich bei höheren Jackpots in die Annahmestellen kamen. Die Verheißung: Ein Gewinn für alle.

Doch warum Normen ändern, die “den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Normklarheit und Justitiabilität“ entsprechen? Die originäre Werberegelung hat es juristisch in sich. Sie gilt für alle und sie geht auch sehr weit. Aus „der Zielsetzung des Staatsvertrags, dem sachlichen Zusammenhang der Vorschriften mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 115, 276 <314, 318>) sowie den Materialien zu dem Staatsvertrag“ ließen „sich Zweck und Inhalt (Anm.: der Werbeverbote) ausreichend ermitteln und objektive Kriterien gewinnen, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden und Gerichte“ ausschlössen (so BVerfG, 1 BvR 928/08 vom 14.10.2008, Absatz-Nr. 26). Das böse Menetekel aus Sicht der Staatsmonopolverfechter: Die Gerichte haben damit letztlich die Auslegungshoheit und die gerichtliche Auslegung der Werbeverbotsnormen hatte doch gerade zum Fiasko geführt. Also nicht das eigene Verhalten ändern und anpassen, sondern die Gesetze konform machen, welch‘ vornehme Handlungsoption.

Doch geht das auf? Die künftige Rechtsetzung ist entgegen den Erläuterungen nicht „neu“. Bereits unter der Ägide des Lotteriestaatsvertrages hieß es zur Werbung in § 4 Abs. 3:

„Art und Umfang der Werbemaßnahmen für Glücksspiele müssen angemessen sein und dürfen nicht in Widerspruch zu den Zielen des § 1 stehen. Die Werbung darf nicht irreführend sein, insbesondere nicht darauf abzielen, unzutreffende Vorstellungen über die Gewinnchancen hervorzurufen“.

Daran orientiert sich die Neuregelung:

„Art und Umfang der Werbung für öffentliches Glücksspiel ist an den Zielen des § 1 auszurichten. Sie darf sich nicht an Minderjährige oder vergleichbar gefährdete Zielgruppen richten. Irreführende Werbung für öffentliches Glücksspiel, insbesondere solche, die unzutreffende Aussagen über die Gewinnchancen oder Art und Höhe der Gewinne enthält, ist verboten.“

Detaillierte materielle Verbote müssen allgemeinen Programmsätzen weichen. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner bekannten Sportwettenentscheidung (BVerfG, 1 BvR 1054/01 vom 28.3.2006, Absatz-Nr. 131) deutlich gemacht, was es von einer solchen schwammigen Normierung hält (Hervorhebung redaktionell):

„Zwar bestimmt § 4 des Lotteriestaatsvertrags über den allgemeinen Verweis auf die Ziele des § 1 des Lotteriestaatsvertrags hinaus, dass die Veranstaltung, Durchführung und gewerbliche Vermittlung von öffentlichen Glücksspielen den Erfordernissen des Jugendschutzes nicht zuwiderlaufen und Werbemaßnahmen nach Art und Umfang nicht irreführend und unangemessen sein dürfen (…). Vor allem die Anforderungen an Werbemaßnahmen zielen letztlich nur auf die Verhinderung von grundsätzlich unlauterer oder im Einzelfall übertriebener Werbung, verhindern aber keine ausschließlich am Ziel expansiver Vermarktung orientierte Werbung.

Deswegen zusätzlich die wohl intern als besonderer „Coup“ gefeierte, von den Ländern zu erlassende „Werberichtlinie“ einer sog. „normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift“, mit, so wird in den Erläuterungen betont, „Bindungswirkung auch für die Gerichte“, die nach § 5 Abs. 4 Erster GlüÄndStV vorgesehen ist. Sie soll „eine sachgerechte Differenzierung nach dem Gefährdungspotential der jeweiligen Glücksspielart im Verwaltungsvollzug unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben zur Werbung nach den Absätzen 1 bis 3“ ermöglichen. Sprich: Der Inhalt der Werberichtlinie wird nicht vom Gesetzgeber bestimmt, sondern durch die Verwaltung und soll die eigenständige Beurteilung durch die Gerichte sperren: was nicht ausdrücklich verboten ist, könnte erlaubt sein, was jedenfalls erlaubt ist, soll gerichtlich nicht verboten werden können.

Solche normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften akzeptiert das Bundesverwaltungsgericht ausschließlich im Bereich des Umwelt- und Technikrechts zur Konkretisierung von unbestimmten Rechtsbegriffen wie „allgemein anerkannter technischer Standard“ oder „Stand der Wissenschaft und Technik“, sieht sonst aber die verfassungsrechtliche Sperre des Bestimmtheitsgrundsatzes.

Die Ministerpräsidenten gehen für ihre Lottogesellschaften am 15. Dezember 2011 „vabanque“. Die erste bereits eine rechtliche Inkohärenz indizierende Achillesferse des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag ist identifiziert. Ein erneutes Debakel droht. Wann haben die Ministerpräsidenten ihr gesetzliches Gestaltungsrecht verwirkt, wann greift der Bund ein?

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