Wenn ein Gesetz die Realität verkennt – Glücksspielanbieter warten seit Sommer 2012 auf Lizenzen in Deutschland

München, März 2014. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach spricht von einer „Hängepartie“, DOSB-Generaldirektor Michael Vesper nennt es ein „Trauerspiel“, Hessens Lotto-Chef Heinz-Georg Sundermann sieht eine „Mission Impossible“. Der stellvertretende FDP-Chef und Vorsitzende der FDP-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein, Wolfgang Kubicki, erkennt gar „Irrwege ins Nirgendwo“. Und „Nirgendwo“ liegt in Deutschland, wo Dutzende von Sportwetten-Anbietern mittlerweile seit weit über einem Jahr auf die Vergabe von Lizenzen warten, die es ihnen ermöglichen würden, unternehmerisch tätig zu sein, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu schaffen und Steuern zu bezahlen. Grundlage ist der im Juli 2012 in Kraft getretene Erste Glücksspieländerungsstaatsvertrag (GlüÄndStV), der eine Zulassung privater und staatlicher Anbieter zum deutschen Sportwettenmarkt für die Dauer von sieben Jahren und 20 Konzessionen vorsieht. Das federführende hessische Innenministerium hat bis dato keine Prognose über den Zeitpunkt der Konzessionsvergaben abgegeben, die FDP-Fraktion im hessischen Landtag hat hierzu gerade eine Anfrage auf den parlamentarischen Weg gebracht.

Der Bezug zum Michael-Ende-Klassiker„Die unendliche Geschichte“ drängt sich auf, findet doch hier der jugendliche Protagonist Bastian Balthasar Bux nur unter größten Mühen und mit Hilfe des Roman-Helden aus der Fantasiewelt zurück. Wer dem deutschen Wettmarkt zu realistischen Wettbewerbsbedingungen verhilft und die Vertreter des Glücksspielkollegs, in dem alle 16 Länderaufsichtsbehörden der Bundesländer vertreten sind, den Weg in die Wirklichkeit weist, ist indes noch unklar.

Regulierungsziele wurden verfehlt

Tatsache ist: Mit den Realitäten des Glücksspielmarktes hat die derzeitige Gesetzgebung nichts zu tun. Vielleicht findet der Glücksspielstaatsvertrag auch deshalb noch immer keine Anwendung. „Im Sommer dieses Jahres steht eigentlich die Evaluierung des derzeitigen Glücksspielstaatsvertrages an. In der Realität wird das allerdings unmöglich sein, weil die deutsche Politik es bisher nicht geschafft, ein Konzessionierungsverfahren zu entwickeln, das die Vergabe von vor Gericht unantastbaren Lizenzen ermöglicht“, kommentiert Dr. Wulf Hambach von der Münchener Kanzlei Hambach & Hambach Rechtsanwälte. Er ist einer der führenden Experten im Bereich Sports & Entertainment Law und wird im aktuellen Who is Who Legal Ranking unter den besten fünf Anwälten für Gaming weltweit gelistet. Das Problem, so Hambach, liege eben in der bis heute von niemandem gerechtfertigten Zahl von 20 Lizenzen, die bundesweit vergeben werden sollen. „Welches Gericht kann eine 21. Lizenz verwehren, wenn ein Anbieter die gleichen Voraussetzungen erfüllt wie 20 andere?“, so der Gaming Law Experte, der auch zu den Referenten des diesjährigen Sports Gaming Summit Ende März im Berliner Olympiastadion gehört. Für Hambach ist klar: „Die Regulierungsziele, die Spieleinsätze hin zu staatlich zugelassenen Angeboten zu kanalisieren, den Schwarzmarkt zu bekämpfen und einen bestmöglichen Spielerschutz zu gewährleisten, wurden verfehlt.“ Den Glückspielstaatsvertrag habe man „mit Ansage vor die Wand gefahren.“ Die Europäische Kommission habe unter anderem deshalb kein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, weil man die Ergebnisse einer Evaluation abwarten wollte.

Lizenz-Misere lässt den Schwarzmarkt boomen

Für den FDP-Politiker Wolfgang Kubicki „hat die Hilflosigkeit vieler Entscheidungsträger in der politischen Auseinandersetzung um den Glücksspielstaatsvertrag mittlerweile dramatische Züge entwickelt. Obwohl seit dem Inkrafttreten des Staatsvertrages bereits über 20 Monate vergangen sind, ist bis heute noch keine einzige Lizenz vergeben worden. Unterdessen blüht das Glücksspielgeschäft im Grau- und Schwarzmarkt.“ Und das lässt sich belegen, wie das Beratungshaus Goldmedia bereits im letzten Jahr mit seiner Studie „Glücksspielmarkt Deutschland 2017“ nachgewiesen hat. 70 Prozent der deutschen Wetteinsätze verbleiben demnach schon heute im unregulierten Markt. Allein 2012 wurde auf dem deutschen Sportwettenmarkt ein Umsatz von 6,8 Mrd. Euro erzielt, lediglich 245 Mio. Euro stammen aus staatlich regulierten Angeboten. Bleibt es bei der derzeitigen Gesetzgebung und den Regelungen des Glücksspielstaatsvertrages, würden, so Goldmedia, im Jahr 2017 die lizenzierten Angebote lediglich noch 8,1 Prozent der Online-Umsätze ausmachen. Außerdem: Der geltende Glücksspielstaatsvertrag und mithin die Länder regulieren nur einen Teil des existenten Marktes und ignorieren boomende Bereiche wie Online-Poker und Casino-Spiele. Dabei gilt Deutschland nach den Vereinigten Staaten als zweitgrößter Poker-Markt weltweit.

Auch vor diesem Hintergrund sowie mit Blick auf die Lizenz-Misere richtet Wolfgang Kubicki die Forderung an die Ministerpräsidenten, sie sollten sich „diesen schwerwiegenden und folgenreichen Fehler eingestehen und den bestehenden Glücksspielstaatsvertrag beerdigen. Wir brauchen endlich handhabbare Lösungen, die nicht im Widerspruch mit dem Europarecht stehen und das Spiel in legale Bahnen kanalisieren. Schleswig-Holsteins Glücksspielgesetz hat gezeigt, dass es möglich ist, all diese Voraussetzungen zu erfüllen.“

Internationales Lob für Modell Schleswig-Holstein

Das schleswig-holsteinische Glücksspielgesetz, seinerzeit von CDU und FDP auf den Weg gebracht, gilt als Weiterentwicklung des so genannten dänischen Modells. Auch wenn die Küstenkoalition aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband SSW dieses revidiert hat, wurden doch rund 50 Lizenzen in Schleswig-Holstein für Sportwetten, Online-Poker und Casinospiele erteilt. Die gelten nun weiter – auch unter dem Glücksspieländerungsstaatsvertrag, der bundesweit genau 20 Lizenzen vorsieht, Online-Poker und Co. dabei ganz ignoriert. Die Macher des schleswig-holsteinischen Gesetzes hatten in den letzten Jahren internationale Anerkennung – unter anderem durch die dänische Glücksspielaufsichtsbehörde Skat – für dessen Ausgestaltung erfahren, weil es neben dem Onlinewettmarkt auch den Poker- und Casino-Sektor reguliert, Steuereinnahmen für den Staat generiert und aufzeigt, wie Spielerschutz und Missbrauchsprävention mit attraktiven Spielmöglichkeiten in Einklang gebracht werden können.

„Der Erfolg von Regulierung muss sich meines Erachtens auch am Grad der Kanalisierung des Spielerverhaltens messen lassen“, resümiert Dr. Wulf Hambach. „Aus Dänemark berichten die Glückspielaufseher von einer Quote von 95 Prozent aller Spieler, die nicht mehr in der Schattenwirtschaft spielen, was die Wirksamkeit der Regulierung á la Schleswig-Holstein unterstreicht.“ Der Anteil derjenigen Online-Spieler, die derzeit noch im Schwarzmarkt unterwegs seien, so schätzen die dänischen Behörden, sei auf unter fünf Prozent gesunken (vgl. http://www.iris-france.org/docs/kfm_docs/docs…). Dänemark hat derzeit 31 Anbieter von Online-Sportwetten und Online-Casino-Angeboten lizenziert. Der Bruttospielumsatz ist von 2012 bis heute von 274 Millionen Euro auf 319 Millionen gestiegen. Und auch der dänische Finanzminister verkündet positive Nachrichten: Die Steuereinnahmen aus den lizenzierten Angeboten stiegen von 55 Millionen Euro 2012 um 17 Prozent auf 64 Millionen Euro.

Auch der Bund der Steuerzahler, so Hambach, hat sich im Sinne des Modells Schleswig Holstein positioniert: Der Verband spricht sich nach einem Bericht der Tageszeitung „Die Welt“ „für eine Liberalisierung des Wettmarkts aus – und damit für einen Weg, den das Land Schleswig-Holstein unter der damaligen schwarz-gelben Landesregierung ein Jahr lang gegangen ist. In dieser Zeit wurden zahlreiche Glücksspiellizenzen gegen Gebühr vergeben. Allein die Einnahmen daraus lagen im hohen einstelligen Millionenbereich. Nach dem Regierungswechsel schwenkte das Land dann wieder auf die Linie der Bundespolitik um.“ Letzteres darf man heute als Fehler werten. Das Blatt zitiert Rainer Kersten, Geschäftsführer beim Bund der Steuerzahler in Kiel: Er hält es für „ völlig illusorisch, den globalen Markt durch ein deutsches Monopol regulieren zu wollen. Er sagt: ‚Der Erhalt des Monopols ist Augenwischerei. Sie können im Internet nun mal keine Ländergrenzen hochziehen. Es wird Zeit, dass die deutsche Politik die Realitäten erkennt.‘“